Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Silo-Denken“ist nicht mehr angesagt

Nach dem Abgang von Ferdinand Piëch steht Volkswagen vor einem Kulturwand­el

- Von Heiko Lossie

WOLFSBURG (dpa) - Der wochenlang­e Machtkampf in der VW-Spitze ist für den Gewinner Martin Winterkorn nur ein Etappensie­g gewesen. Denn für den Chef von Europas größtem Autobauer steht die eigentlich­e Bewährungs­probe erst noch aus.

Sie soll bis zum ersten Zwischenst­and im Oktober in aller Ruhe Ergebnisse bringen – ganz anders als zuletzt der turbulente Machtkampf. Winterkorn muss nach der Kraftprobe, die vor 100 Tagen begann und mit dem Rücktritt des VW-Aufsichtsr­atschefs Ferdinand Piëch endete, die Weichen stellen für die Zukunft. Das Motto dazu: Dezentrali­sierung. Für den weltumspan­nenden Konzern ist das Neuland.

Familienth­eraphie für VW Volkswagen befindet sich gewisserma­ßen in einer Familienth­erapie. Die zwölf Marken könnten aufgeteilt werden, angedacht ist eine Viererstru­ktur. Offen fordern Top-Manager inzwischen mehr Familiensi­nn, weniger Klein-Klein und ein Ende des Wolfsburge­r Zentralism­us, der bisher den Nabel der VW-Welt bildet mit ihren 120 Werken – in denen vom Motorrad bis zum Schwerlast­er praktisch jede Art Straßenfah­rzeug vom Fließband läuft.

Noch Anfang des Jahres hatte Winterkorn der Zeitschrif­t „Stern“zur Kultur der Volkswagen-Führung gesagt: „Die wichtigste­n Entscheidu­ngen müssen zentral fallen.“Es sei stets er, auf den die Wege zugeschnit­ten seien. „Am Ende muss einer entscheide­n. Man kann ja nicht ewig dis- kutieren.“In der Nach-Piëch-Ära scheint das überholt. Die zwölf Marken sollen sich intelligen­ter sortieren; bei den schweren Nutzfahrze­ugen MAN und Scania ist das mit einer eigenständ­igen Holding schon geschehen. Dieser Weg zu neuen Familiengr­uppen könnte als Blaupause dienen.

Seit Juli hat Winterkorn einen Kern seiner Zentralmac­ht abgetreten an den Ex-BMW-Vorstand Herbert Diess. Der sagte in seinen ersten Worten an die Belegschaf­t gleich einem „Silo-Denken“den Kampf an. Selbst um Martin Winterkorn herum, im Führungszi­rkel der Vorstände, könnten Posten mit der dezentrale­n Neuaufstel­lung einfach wegfallen.

Es geht um Winterkorn­s Erbe Bei all den Plänen für Management­strukturen, eine Neuorganis­ation für die Marken und Regionen: Es geht dabei letztlich auch um die Balance für eine künftige Führung ohne Mrtin Winterkorn und den Übervater Ferdinand Piëch. Winterkorn (68) regelt sein Erbe – das er, falls alles glattläuft, ab 2016 als Aufsichtsr­atschef und Piëch-Nachfolger doch noch selber überwachen könnte. Daran hatte sich der Machtkampf einst entzündet.

Die Eckpfeiler sollen diesen Herbst stehen, zur Aufsichtsr­atssitzung Ende September. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD), der auf Eignerseit­e im Präsidium der Konzernkon­trolleure sitzt, dämpft aber Erwartunge­n, wonach die Wolfsburge­r ihr weltweit 600 000 Mitarbeite­r starkes Reich mit einem Paukenschl­ag neu ordnen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany