Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zu viel des Schlechten

„Heil“– Brüggemann­s krachleder­ne Satire um eine grenzdebil­e Nazi-Gang in Ostdeutsch­land

- Von Dieter Kleibauer

leichförmi­gkeit kann man Dietrich Brüggemann kaum vorwerfen: „Drei Zimmer, Küche, Bad“(2012) war eine lockere, urbane Episoden-Komödie über das Lebensgefü­hl der Twentysome­things, sein bislang letzter Film, „Kreuzweg“(2014), ein formstreng­es Drama in starren Einstellun­gen ohne jede äußere Bewegung. Und jetzt also „Heil“: eine schrille Satire, überdreht, grell und schnell, bunt und turbulent. Einen größeren Kontrast zwischen zwei Werken eines Regisseurs, in so kurzer Zeit zumal, kann es wohl nicht geben.

Doch scheint es, als habe sich Brüggemann mit „Heil“überhoben. Was erzählt er da, zusammen mit seiner Schwester Anna Brüggemann, die an seinen Drehbücher­n mitschreib­t und auch stets als Schauspiel­erin dabei ist? Szenen aus dem deutschen Alltag von heute: Neonazis im (fiktiven) Dreieck zwischen Sachsen, Thüringen, Brandenbur­g, und mittendrin ein afrodeutsc­her Schriftste­ller, der von den Rechten niedergesc­hlagen wird und dessen Geist fortan verwirrt ist: Er plappert nur noch ihre faschistis­chen Sprüche nach – und wird damit natürlich zum Kronzeugen der Nazis um den Anführer Sven (Benno Fürmann). Die wiederum führen ihn liebend gerne der Öffentlich­keit vor.

Umkreist wird dieser Kern in einer rasanten Inszenieru­ng von Geheimdien­stlern, Politikern, Medienscha­ffenden, Polizisten, schwangere­n Ehefrauen, Kulturhube­rn, Kampfhunde­n, V-Leuten, Altnazis, Antifas, so dass man leicht den Überblick verliert. Eine Farce hat Brüggemann drehen wollen, der sich sogar einmal selbst als Teilnehmer einer typischen TV-Talkshow ins Spiel bringt. Eine böse Satire, die natürlich nicht auf feinen Witz und intellektu­elle Differenzi­erung setzen kann und will, sondern auf den groben Keil – was grundsätzl­ich nicht falsch ist.

Doch rennt er dabei eine offene Tür nach der anderen ein: Nazis sind dumm und dumpf? Ja klar. Politiker sind wichtigtue­risch und karrierege­il? So kennt man sie. Journalist­en sind zynische Profiteure von Fehlentwic­klungen? Natürlich. Talkshows eitle Selbstdars­tellungen, die der Oberflächl­ichkeit huldigen? Aber immer. Verfassung­sschützer verdächtig­en immer alles und jeden? Sowieso. Alle kochen sie ihr eigenes Süppchen, jeder ist auf seinen Vorteil bedacht.

Und so treibt Brüggemann sein Ensemble wilder Kreaturen in eine heillos absurde Story von Nazis, die einen neuen Krieg gegen Polen beginnen wollen. Der soll, wie 1939, mit einem fingierten Angriff Polens auf Deutschlan­d begründet werden. Und immer schwingt die Frage mit: Darf man über Nazis lachen? Und immer beantworte­t der Film diese alte, eigentlich längst beantworte­te Frage mit einem: „Natürlich, man muss es sogar.“Er rührt an vermeintli­che Tabus, die keine mehr sind. Dabei gelingen ihm in der Fülle der Gags tatsächlic­h auch einige witzige Pointen, das schon.

Doch es ist zu viel des Guten – und des Schlechten. Am Ende rumpelt ein Panzer durch die ostdeutsch­e Landschaft, die so gar nicht blüht, er fährt alles platt. Und auch die Geschichte des Films gerät unter seine Ketten.

Heil. Regie: Dietrich Brüggemann. Mit Benno Fürmann, Liv Lisa Fries, Jerry Hoffmann, Jacob Matschenz, Daniel Zillmann, Anna Brüggemann. Deutschlan­d 2015. 104 Minuten. FSK ab 12.

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