Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine öffentlich­e Tote

„Amy“von Asif Kapadias ist ein exzellente­r Dokumentar­film über Amy Winehouse

- Von Rüdiger Suchsland

ies ist die Geschichte einer Ausnahmeer­scheinung: Amy Winehouse, der mit nur 27 Jahren verstorben­e Londoner Pop-Weltstar, hatte nicht nur Talent und Starqualit­äten. Sie errang die Zuneigung einer weltweiten Fangemeind­e und schaffte es, sich in eine Marke zu verwandeln, die für ein paar Jahre das Nonplusult­ra der Rockmusik darstellte. Winehouse war eine leidenscha­ftliche und leidenscha­ftlich geliebte Musikerin, die den Ruhm irgendwann nicht mehr aushielt, und unter der Daueraufme­rksamkeit von Millionen physisch und psychisch zusammenbr­ach.

Asif Kapadias Dokumentar­film untersucht nicht nur die phänomenal­e Musikkarri­ere der Amy Winehouse. Er schildert auch ihren eigenen Umgang mit der plötzliche­n globalen Berühmthei­t und dem dazugehöri­gen Medienbetr­ieb und stellt die oft sehr komplizier­te Beziehung zu ihrer Familie und ihren Geliebten dar. Dabei werden die Abgründe – ihre Drogensuch­t, Alkoholexz­esse, Nervenzusa­mmenbrüche – nicht weichgespü­lt.

Zugriff aufs Familienar­chiv Der Film, der bei seiner Premiere auf dem Filmfestiv­al von Cannes vor ein paar Wochen stürmisch gefeiert wurde, bietet sehr nahe Innenansic­hten aus dem Amy Winehouse’ Leben und kann mit seltenen Einblicken und nicht zuletzt tollen Bildern locken. Der Regisseur porträtier­te vor fünf Jahren mit „Senna“den brasiliani­schen Formel-1-Piloten Ayrton Senna, der mit 34 tödlich verunglück­te. Für die Annäherung an Amy Winehouse hatte er Zugriff aufs Familienar­chiv. Er benutzt Interviews mit Kollegen, Angehörige­n und nahen Freunden zusammen mit unveröffen­tlichtem Material: unbekannte Songs, Probeaufna­hmen, Filme aus Medienarch­iven.

Das Herz des Films sind die privaten Video-Aufnahmen, die beispielsw­eise die 14-jährige Amy lange vor dem großen Ruhm zeigen: als Schülerin, mit Freundinne­n, und bei ersten Gesangsver­suchen. Man lernt ihre Wurzeln im kleinbürge­rlichen Londoner Norden mit seiner jüdischen Kultur kennen. Aber auch der Borderline-Charakter der Musikerin wird dargestell­t. Das Ergebnis ist ein originelle­s Porträt, das höchstens darunter leidet, dass es mitunter an der Fülle der Interviews­chnipsel zu ersticken droht.

„Amy“macht den allzu kurzen Lebensweg von Amy Winehouse bis zu ihrem tragischen Tod mit nur 27 Jahren greifbar. Es gelingt dem Filmemache­r aber darüber hinaus auch noch, in diesem einzigarti­gen Charakter den Zeitgeist der ersten Deka- de des dritten Jahrtausen­ds zu erhaschen. Natürlich ist dies alles auch eine höhere Form von Leichenfle­dderei. Aber sie ist eben Teil eines Systems, dem sich Winehouse selbst ganz verschrieb­en hatte.

„Amy“: Regie: Asif Kapadia Länge: 128 Minuten. Großbritan­nien 2014. Keine Altersbesc­hränkung.

 ?? FOTO: PROKINO ?? In ihrer kurzen Karriere verkaufte die britische Sängerin Amy Winehouse über 25 Millionen Tonträger und gewann sechs Grammys. Am 23. Juli 2011 starb sie im Alter von 27 Jahren an einer Alkoholver­giftung.
FOTO: PROKINO In ihrer kurzen Karriere verkaufte die britische Sängerin Amy Winehouse über 25 Millionen Tonträger und gewann sechs Grammys. Am 23. Juli 2011 starb sie im Alter von 27 Jahren an einer Alkoholver­giftung.

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