Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Das Leben wird lauter, aber interessanter“
Rudolf Schulz und seine Frau vermieten ihren Garten für den Bau einer Flüchtlingsunterkunft
TETTNANG - Wo auch immer derzeit neue Unterkünfte für Asylbewerber geplant werden, gibt es in der Nachbarschaft mal mehr, mal weniger Kritiker, die mal mehr, mal weniger laut dagegen protestieren. Ilse Liebner und Rudolf Schulz haben sich für einen anderen Weg entschieden: Sie holen sich bis zu 35 Flüchtlinge freiwillig in den eigenen Garten. 1000 Quadratmeter ihres Grundstücks an der Tobelstraße in Tettnang wollen sie ans Landratsamt vermieten, um den Bau einer Unterkunft für Asylbewerber zu ermöglichen. Wohlwissend, dass sie sich damit in der Nachbarschaft nicht nur Freunde machen.
Ein bisschen wild, ein bisschen chaotisch: Das weitläufige Grundstück um das Haus von Familie Schulz ist so ziemlich das genaue Gegenteil eines akkuraten oberschwäbischen Vorzeigegartens – und strahlt genau deshalb eine natürliche Gemütlichkeit aus. Das wird sich in den nächsten Monaten ändern. Der kleine Teich samt Sitzbänken wird ebenso wie der alte Pritschenwagen einem Zweckbau weichen, in dem bis zu 35 Menschen unterkommen sollen. Menschen, die aus ihrer Heimat vor Gewalt, Verfolgung und Armut geflohen sind und in Tettnang in ein neues, ein besseres Leben starten wollen.
An die eigene Kindheit erinnert „Im Alter wird ja das Langzeitgedächtnis aktiviert“, sagt Rudolf Schulz, der auf die 60 zugeht und sich angesichts der Fotos und Fernsehbilder aus den Krisengebieten der Welt irgendwann an seine eigene Kindheit erinnerte. Und an das, was seine Mutter durchgemacht hat, als sie nach
TRAUERANZEIGEN dem Zweiten Weltkrieg von Schlesien aus nach Langenargen geflohen war. „Sie hat mir später erzählt, was sie damals erlebt hat – Hunger, Gewalt, Vergewaltigungen.“Auch er selbst habe als Kind lernen müssen, was Hunger bedeutet. Und Gewalt sei damals auch in der Schule noch an der Tagesordnung gewesen. Die Erinnerung an diese Zeiten und die wiederholten Appelle des Tettnanger Bürgermeisters in den vergangenen Monaten haben Rudolf Schulz schließlich dazu bewogen, ins Rat- haus zu gehen und seine Hilfe anzubieten: „Ich habe das wie die meisten Leute immer von mir weggeschoben. Irgendwann hat es dann aber Klick gemacht. Die Menschen, die hierherkommen, werden verfolgt und diskriminiert. Und sie brauchen unsere Hilfe.“
1000 Quadratmeter seines Grundstücks wird er dem Landratsamt für die Dauer von 20 Jahren vermieten, um dort eine Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 35 Flüchtlinge bauen zu können. „Wir haben hier insge- samt 5000 Quadratmeter. Wenn wir 1000 davon abgeben, bleibt uns immer noch mehr als genug“, sagt Rudolf Schulz.
Dass sie sich in der Nachbarschaft nicht nur Freunde machen würden, sei ihnen natürlich vorher bewusst gewesen. Das sehen die beiden allerdings gelassen. Zum einen seien sie in gewisser Weise schon immer Außenseiter gewesen, zum anderen ist Rudolf Schulz auch davon überzeugt, dass sich die Aufregung legen wird, sobald die Flüchtlinge da sind und sich alles eingespielt hat. Die Gerüchte und Geschichten, die in der Stadt die Runde machen, seit durchgesickert ist, was er und seine Frau vorhaben, sind Schulz nicht viel mehr wert als ein entspanntes Lächeln. Dem Gerede zum Beispiel, Geld spiele bei der Sache die Hauptrolle, begegnet er mit dem Hinweis auf einen Anwohner, der ihm konkret angeboten habe, den fraglichen Grundstücksteil zu kaufen. Mit dem Ziel, den Bau der Flüchtlingsunterkunft zu verhindern.