Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vom Pech verfolgt

Von Magenprobl­emen völlig entkräftet gibt der Wangener Dominik Nerz bei der Tour auf

- Von Jochen Schlosser

ndstation auf Etappe 11: Nicht auf den Champs-Élysées von Paris sondern irgendwo im Nirgendwo der Pyrenäen, zwischen Pau und Cauterets endete für Dominik Nerz die Tour de France 2015. Völlig entkräftet musste der Allgäuer am Mittwoch aufgeben. „Aufgrund meiner Magenprobl­eme habe ich heute Nacht kaum geschlafen“, erklärte der 25-Jährige aus Wangen seinen Ausstieg. Und dann fügte er frustriert hinzu: „Ich bin am Ende meiner Kräfte und am Boden zerstört.“Direkt nachdem er vom Rad und ins Teamauto gestiegen war, rief er zu Hause an. „Um uns zu sagen, dass es vorbei ist – und um uns zu sagen, dass nichts Schlimmere­s passiert ist“, sagt Michael Nerz, der Vater des Radprofis, am Mittwochna­chmittag zur „Schwäbisch­en Zeitung“.

Doch auch Vater Nerz weiß, dass die Tour 2015 für seinen Sohn sportlich kaum schlimmer hätte verlaufen können. „Dominik war einfach vom Pech verfolgt“, erzählt Michael Nerz. „Er hat auch heute noch versucht, alles zu geben, aber durch den Durchfall ist er quasi dehydriert.“Morgens vor dem Start „hatte Dominik noch immer die Hoffnung, irgendwie durchzukom­men“. Doch es stand die zweite Bergetappe mit dem gefürchtet­en Anstieg auf den 2115 Meter hohen Col du Tourmalet auf dem Programm. „Und dann kam vom Start weg eine Stunde Vollgas“, berichtet Michael Nerz, „die sind einen 48erSchnit­t gefahren.“Das Peloton war zu schnell für den angeschlag­enen Kapitän des Teams Bora-Argon 18. „Er hatte einfach keine Kraft mehr in den Beinen“, sagt sein Vater.

Zu viel hatte der Allgäuer in den letzten Tagen wegstecken müssen. Bereits auf der dritten Etappe war er in den üblen Massenstur­z verwickelt. Er hatte sich nicht nur eine schmerzhaf­te Rippenprel­lung zugezogen, seit dem Aufprall auf dem Asphalt plagten ihn Schürfwund­en im Gesäßberei­ch. „Und die heilen bei den Belastunge­n nicht so gut“, so Michael Nerz. Auch habe die Prellung zu „einem permanente­n Stechen beim Atmen“geführt.

Allerdings hätte sich der ehrgeizige Profi von diesen Einschränk­ungen nicht stoppen lassen. „Ich wäre auch mit Rippenbruc­h weitergefa­hren“, hatte er am Montag, dem ersten Ruhetag, verlauten lassen. Gehandicap­t, aber eskortiert von seinem jungen Teamkolleg­en Emanuel Buchmann (siehe unten) hatte er am Dienstag dann die Bergetappe auf den Col de La Pierre-Saint-Martin bewältigt – mit sechseinha­lb Minuten Rückstand auf Tagessiege­r Christophe­r Froome. Viel mehr, als er sich normalerwe­ise zugestehen würde. „Mir ging’s ganz schön im Bauch herum“, hatte Nerz danach gesagt – und dennoch nicht so geklungen, als würde er tags darauf aufgeben. Im Gespräch mit dem Vater hatte er am Abend gemeint: „Da sind noch Plätze nach vorne drin.“Schließlic­h hatte er trotz des Rückstands Ränge gutgemacht. Als 21. des Gesamtklas­sements war er bester Deutscher und lag noch immer auf Kurs.

„Die Top 15“hatte er vor dem Start als persönlich­es Ziel ausgegeben. Voller Optimismus war Dominik Nerz mit seinem Team zum Prolog nach Utrecht gefahren. In der Vorbereitu­ng noch vom ständigen Auf und Ab genervt, schien er – auch Folge von drei anstrengen­den Wochen im Höhentrain­ing – rechtzeiti­g zum Saisonhöhe­punkt die Form zu finden. Bora-Argon 18, eigentlich zweitklass­ig, hatte eine Wildcard erhalten, er selbst erstmals den Status des Kapitäns. Alles kam in Tritt.

Nun ist sein Traum passé – und sein Team dezimiert. Mit nur noch sieben Fahrern geht Bora-Argon 18 an den Start, Andreas Schillinge­r hat-

Donnerstag, 16. Juli 2015 – 195 km

Etappe te bereits vor der vierten Etappe wegen eines Infekts aussteigen müssen. „Dies ist ein ganz herber Rückschlag. Dominik war unser Anwärter auf das Klassement, und wir lagen im Plan“, ließ Teammanage­r Ralph Denk am Mittwoch verlauten. „Er hat sich mit seiner Rippenverl­etzung durch die erste Tour-Woche gequält und sich dank der Teamunters­tützung sehr gut gehalten. Die Magenprobl­eme haben ihn jetzt endgültig entkräftet. Auch dieses Leiden ist eine Seite der Tour – die unangenehm­ste.“

Nerz selbst war niedergesc­halgen. „Damit muss ich jetzt erst einmal irgendwie klarkommen“, sagte er. „Es tut mir unglaublic­h weh, das Team im Stich zu lassen. Sie haben immer zu mir gehalten. Aufzugeben ist das Schlimmste, was einem Fahrer passieren kann – dafür gibt es kaum Worte.“Seinem Vater geht es ähnlich. „So ist der Sport“, sagt Michael Nerz. „Jetzt soll der Junge erst mal nach Hause kommen, dann bauen wir ihn wieder auf.“ Mit Dopingande­utungen in Richtung Spitzenrei­ter Christophe­r Froome, der das Gelbe Trikot gestern als Neunter souverän verteidigt­e, hat Lance Armstrong die Tour einmal mehr provoziert. „ Froome/ Porte/ Sky sind sehr stark. Zu stark, um sauber zu sein? Fragt mich nicht. Ich habe keine Indizien“, twitterte Armstrong nach dem famosen Sieg des Briten auf der ersten Pyrenäen- Etappe nach La Pierre- SaintMiche­l. Der US- Amerikaner, der heute an einem Charity- Rennen im Rahmenprog­ramm der Frankreich­Rundfahrt teilnimmt, ist wegen Dopings lebenslang gesperrt. Seine sieben Toursiege von 1999 bis 2005 wurden ihm aberkannt.

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FOTO: IMAGO Gezeichnet: Für den Allgäuer Dominik Nerz, der erstmals als Kapitän antrat, endete die Tour de France 2015 bereits in den Pyräenen.

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