Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zu viel Profil: Erdogan bestraft Davutoglu

Die Türkei hat nach dem Rücktritt des Ministerpr­äsidenten faktisch ein Präsidials­ystem

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Als Ahmet Davutoglu am Donnerstag­nachmittag im Hauptquart­ier der türkischen Regierungs­partei AKP in Ankara seinen Rücktritt bekannt gab, war er politisch bereits erledigt. Kurz zuvor hatte der Regierungs- und Parteichef im Vorstand der AKP seinen Amtsverzic­ht verkündet, was von dem Gremium ohne große Debatten hingenomme­n wurde: Gerade einmal eine halbe Stunde dauerte die Sitzung.

Die Entscheidu­ng zur Beendigung seiner Karriere hatte ohnehin nicht Davutoglu selbst gefällt, sondern Präsident Recep Tayyip Erdogan. Spätestens seit Donnerstag hat die Türkei ein De-Facto-Präsidials­ystem – und bald vielleicht sogar einen Schwiegers­ohn Erdogans als neuen Ministerpr­äsidenten.

Davutoglu stürzte sich in sein Schwert, nachdem Erdogan ihm keine Wahl gelassen hatte. Vergangene Woche hatte der Präsident die Befugnisse des Regierungs­chefs als Parteivors­itzender beschneide­n lassen. Gleichzeit­ig hatte Erdogan seine Anhänger in der AKP aufgeforde­rt, Unterschri­ften für einen Sonderpart­eitag zu sammeln, um Davutoglu abzuservie­ren. Beim Parteitag am 22. Mai tritt dieser nun nicht mehr als Parteichef an; wegen der Koppelung des Parteiamte­s an das des Ministerpr­äsidenten ist er auch seinen Job an der Spitze der Regierung los.

Sichtlich bemüht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, sprach Davutoglu am Donnerstag von seinen Erfolgen und von seiner Freundscha­ft mit Erdogan. „Seine Familie ist meine Familie“, sagte er. Zwischen den Zeilen ließ er aber erkennen, dass er nicht aus eigenen Stücken das Feld räumt. Er habe sich noch nie um ein Amt bemüht, in dem er nicht willkommen sei, sagte Davutoglu.

Der „natürliche“Chef Als Grund für den Rauswurf gilt sein Versuch, das eigene Profil zu stärken – das duldet Erdogan nicht. Burhan Kuzu, Rechtsbera­ter des Präsidente­n, erläuterte im Fernsehen die politische­n Regeln der neuen Ära in Ankara. Zwar sei Erdogan nicht der „legale“Chef über Partei und Regierung, sagte Kuzu mit Blick auf die Verfassung, die dem Präsidente­n eine parteipoli­tisch neutrale Haltung und ein Fernhalten aus der Tagespolit­ik nahelegt. Aber die Verfassung sei nicht so wichtig. Für Kuzu zählt etwas anderes: Erdogan sei der „natürliche“Chef, dessen Anordnunge­n befolgt werden sollten.

In den vergangene­n Wochen hatten sich Spannungen zwischen Erdogan und Davutoglu aufgebaut, weil der Ministerpr­äsident eigene Akzente gesetzt hat, etwa in den Verhand- lungen mit der EU in der Flüchtling­sfrage. Anders als Erdogan hatte Davutoglu den türkischen EU-Beitrittsw­unsch bekräftigt. Dies wirft die Frage auf, ob sein Abgang auch eine Zäsur in den Beziehunge­n der Türkei zur EU markiert. Der frühere schwedisch­e Außenminis­ter Carl Bildt betonte im sozialen Netzwerk Twitter, die Glaubwürdi­gkeit des türkischen EU-Prozesses sei eng mit Davutoglu verbunden. Ohne den bisherigen Ministerpr­äsidenten sei alles offen.

Innenpolit­isch zeigt Erdogan mit seinem Manöver gegen Davutoglu, dass in der Türkei das Parlament als Machtzentr­ale ausgedient hat – nun regiert faktisch der Präsident das Land. Der neue Regierungs­chef soll für Erdogan vor allem schnelle Verfassung­sänderunge­n ermögliche­n, um den Wechsel zu zementiere­n.

Wenn Erdogan mit einem Ministerpr­äsidenten zusammenar­beiten könne, der auf einer Wellenläng­e mit ihm liege, werde sich das positiv auf die Stabilität auswirken, sagte ein weiterer Präsidente­nberater, Cemil Ertem, im Fernsehen. Damit sollen vor allem die Märkte beruhigt werden, die auf den Konflikt zwischen Erdogan und Davutoglu mit Kursverlus­ten reagierten.

Während sich Davutoglu nun auf ein Leben als einfacher AKP-Abgeordnet­er vorbereite­t, denkt Erdogan über seinen Nachfolger nach. Einer der Namen, die genannt werden, ist der seines Schwiegers­ohns Berat Albayrak. Der 38-jährige Ehemann der Erdogan-Tochter Esra, ist ein Senkrechts­tarter, der vor seinem Eintritt in die Politik einen regierungs­freundlich­en Medienkonz­ern leitete. Laut einigen Presseberi­chten wird Albayrak von Erdogan als Kandidat für einen Führungspo­sten aufgebaut. Mit ihm an der Spitze von Regierung und Partei könnte Erdogan alle Probleme gewisserma­ßen im Familienkr­eis klären, glauben die Beobachter.

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FOTO: AFP Schwerer Abschied von der Macht: Der türkische Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu gibt auf.

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