Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zu viel Profil: Erdogan bestraft Davutoglu
Die Türkei hat nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten faktisch ein Präsidialsystem
ISTANBUL - Als Ahmet Davutoglu am Donnerstagnachmittag im Hauptquartier der türkischen Regierungspartei AKP in Ankara seinen Rücktritt bekannt gab, war er politisch bereits erledigt. Kurz zuvor hatte der Regierungs- und Parteichef im Vorstand der AKP seinen Amtsverzicht verkündet, was von dem Gremium ohne große Debatten hingenommen wurde: Gerade einmal eine halbe Stunde dauerte die Sitzung.
Die Entscheidung zur Beendigung seiner Karriere hatte ohnehin nicht Davutoglu selbst gefällt, sondern Präsident Recep Tayyip Erdogan. Spätestens seit Donnerstag hat die Türkei ein De-Facto-Präsidialsystem – und bald vielleicht sogar einen Schwiegersohn Erdogans als neuen Ministerpräsidenten.
Davutoglu stürzte sich in sein Schwert, nachdem Erdogan ihm keine Wahl gelassen hatte. Vergangene Woche hatte der Präsident die Befugnisse des Regierungschefs als Parteivorsitzender beschneiden lassen. Gleichzeitig hatte Erdogan seine Anhänger in der AKP aufgefordert, Unterschriften für einen Sonderparteitag zu sammeln, um Davutoglu abzuservieren. Beim Parteitag am 22. Mai tritt dieser nun nicht mehr als Parteichef an; wegen der Koppelung des Parteiamtes an das des Ministerpräsidenten ist er auch seinen Job an der Spitze der Regierung los.
Sichtlich bemüht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, sprach Davutoglu am Donnerstag von seinen Erfolgen und von seiner Freundschaft mit Erdogan. „Seine Familie ist meine Familie“, sagte er. Zwischen den Zeilen ließ er aber erkennen, dass er nicht aus eigenen Stücken das Feld räumt. Er habe sich noch nie um ein Amt bemüht, in dem er nicht willkommen sei, sagte Davutoglu.
Der „natürliche“Chef Als Grund für den Rauswurf gilt sein Versuch, das eigene Profil zu stärken – das duldet Erdogan nicht. Burhan Kuzu, Rechtsberater des Präsidenten, erläuterte im Fernsehen die politischen Regeln der neuen Ära in Ankara. Zwar sei Erdogan nicht der „legale“Chef über Partei und Regierung, sagte Kuzu mit Blick auf die Verfassung, die dem Präsidenten eine parteipolitisch neutrale Haltung und ein Fernhalten aus der Tagespolitik nahelegt. Aber die Verfassung sei nicht so wichtig. Für Kuzu zählt etwas anderes: Erdogan sei der „natürliche“Chef, dessen Anordnungen befolgt werden sollten.
In den vergangenen Wochen hatten sich Spannungen zwischen Erdogan und Davutoglu aufgebaut, weil der Ministerpräsident eigene Akzente gesetzt hat, etwa in den Verhand- lungen mit der EU in der Flüchtlingsfrage. Anders als Erdogan hatte Davutoglu den türkischen EU-Beitrittswunsch bekräftigt. Dies wirft die Frage auf, ob sein Abgang auch eine Zäsur in den Beziehungen der Türkei zur EU markiert. Der frühere schwedische Außenminister Carl Bildt betonte im sozialen Netzwerk Twitter, die Glaubwürdigkeit des türkischen EU-Prozesses sei eng mit Davutoglu verbunden. Ohne den bisherigen Ministerpräsidenten sei alles offen.
Innenpolitisch zeigt Erdogan mit seinem Manöver gegen Davutoglu, dass in der Türkei das Parlament als Machtzentrale ausgedient hat – nun regiert faktisch der Präsident das Land. Der neue Regierungschef soll für Erdogan vor allem schnelle Verfassungsänderungen ermöglichen, um den Wechsel zu zementieren.
Wenn Erdogan mit einem Ministerpräsidenten zusammenarbeiten könne, der auf einer Wellenlänge mit ihm liege, werde sich das positiv auf die Stabilität auswirken, sagte ein weiterer Präsidentenberater, Cemil Ertem, im Fernsehen. Damit sollen vor allem die Märkte beruhigt werden, die auf den Konflikt zwischen Erdogan und Davutoglu mit Kursverlusten reagierten.
Während sich Davutoglu nun auf ein Leben als einfacher AKP-Abgeordneter vorbereitet, denkt Erdogan über seinen Nachfolger nach. Einer der Namen, die genannt werden, ist der seines Schwiegersohns Berat Albayrak. Der 38-jährige Ehemann der Erdogan-Tochter Esra, ist ein Senkrechtstarter, der vor seinem Eintritt in die Politik einen regierungsfreundlichen Medienkonzern leitete. Laut einigen Presseberichten wird Albayrak von Erdogan als Kandidat für einen Führungsposten aufgebaut. Mit ihm an der Spitze von Regierung und Partei könnte Erdogan alle Probleme gewissermaßen im Familienkreis klären, glauben die Beobachter.