Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sorgen in Berlin über möglichen Wegfall der türkischen Visumspfli­cht

Unionsabge­ordnete warnen vor Ausweitung der irreguläre­n Migration – Regierung in Ankara reagiert mit Unverständ­nis auf EU-Kritik

- Von Andreas Herholz, Rasmus Buchsteine­r und Susanne Güsten

BERLIN/ISTANBUL - Wohin steuert die Türkei? Der Rücktritt von Ahmet Davutoglu wird in Berlin mit Sorge registrier­t, wurde der scheidende Regierungs­chef doch als Verhandlun­gspartner geschätzt. Mit ihm hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Flüchtling­sdeal unter Dach und Fach gebracht. Davutoglus Rückzug war ein Paukenschl­ag nur einen Tag nach der Grundsatze­ntscheidun­g der EU-Kommission zur Aufhebung der Visumspfli­cht für Türken.

Beifall auf der einen Seite, scharfe Kritik und Unverständ­nis auf der anderen – das Votum der EU-Kommission hat in Berlin für ein sehr unterschie­dliches Echo gesorgt. Künftig sollen türkische Staatsbürg­er ohne Visum in die 26 EU-Staaten des Schengen-Raums reisen. Merkel hält es für möglich, dass die Türkei die wenigen verblieben­en Bedingunge­n für die Visumfreih­eit umsetzt.

„Ich glaube, dass angesichts der Fortschrit­te, die die Türkei in den anderen Punkten gemacht hat, eine realistisc­he Chance besteht, dass auch die noch offenen Punkte erfüllt wer- den“, sagte die Kanzlerin. Es bedeute einen „großen politische­n Schritt“, dass die Türkei die Visumfreih­eit aller EU-Bürger inklusive Zyperns zugesagt habe. Auch vor diesem Hintergrun­d wolle sie „jetzt keine Gefahren diskutiere­n“, sondern auf ein gegenseiti­ges Einhalten der Zusagen setzen.

In den Reihen der Opposition, aber auch bei der SPD gab es Zustimmung. Die Union ist dagegen skeptisch über die Empfehlung­en aus Brüssel. Wenn die Türkei den Flücht- lingspakt nicht voll erfüllen sollte, „dann fällt auch die Visafreihe­it“, erklärte Elmar Brok (CDU), Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s des Europäisch­en Parlamente­s.

In den Unionspart­eien gibt es Bedenken gegen die Visumfreih­eit, auch weil sie zu einer Ausweitung der irreguläre­n Migration führen könnte. Der innenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Stephan Mayer, sieht zudem die Gefahr, dass die Visafreihe­it für die Türkei nur als politische Frage und nicht als Sach- frage behandelt werde. „Es darf weiterhin keine politische­n Zugeständn­isse gegenüber der Türkei geben“, erklärte der CSU-Politiker.

Drohungen an Brüssel Mit einer Warnung an die Adresse der EU hat die Türkei am Donnerstag auf die Bedingunge­n Brüssels für den Wegfall der Visaschran­ken reagiert. Sein Land halte sich an seine Zusagen, sagte Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu. „Auch die EU muss zu ihrem Wort stehen.“Ankara droht seit Monaten, die Rücknahme von Flüchtling­en aus Griechenla­nd zu stoppen, falls die Visaschran­ken nicht, wie zugesagt, im Juni fallen.

Cavusoglu betonte, sein Land habe die meisten der insgesamt 72 Kriterien der EU für die Abschaffun­g der Reisebesch­ränkungen inzwischen erfüllt. Es gebe nur noch „kleinere Mängel“, die in nächster Zeit beseitigt werden würden. EU-Kommission­svize Frans Timmermans hatte die Türkei zuvor aufgeforde­rt, bis Juni Maßnahmen zur Korruption­sbekämpfun­g und eine Reform der Antiterror-Gesetze einzuleite­n sowie die biometrisc­hen Pässe technisch zu verbessern. Nach vergeblich­em Bitten und Mahnen will die EU- Kommission die Flüchtling­sverteilun­g in der EU nun erzwingen. Brüssel schlug am Mittwoch eine „ automatisc­he“Verteilung von Flüchtling­en vor, um belasteten Ankunftslä­ndern zu helfen. Die Kommission will einen „ Fairness- Mechanismu­s“einführen. Er soll automatisc­h aktiviert werden, wenn die Zahl der Asylbewerb­er in einem Land eine festgelegt­e Schwelle im Verhältnis zur Bevölkerun­gszahl und Wirtschaft­skraft übersteigt. Dann sollen darüber hinausgehe­nde Asylbewerb­er auf die anderen Mitgliedst­aaten nach einem festen Schlüssel verteilt werden. Aufnahmeve­rweigerer können jeweils für die Dauer eines Jahres eine Ausnahme beantragen. Sie müssen aber ein „ Strafgeld“von 250 000 Euro pro Asylbewerb­er zahlen, den sie nicht aufnehmen. ( AFP)

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FOTO: DPA Brüssel will Visumfreih­eit für Türken – trotz deutscher Bedenken.

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