Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Aachen ehrt Franziskus als „moralische Instanz“

Der Papst erhält am Freitag den Karlspreis, den er zunächst aus Bescheiden­heit nicht annehmen wollte

- Von Andreas Otto

AACHEN (KNA) - Was verbindet Bill Clinton, Henry Kissinger und George C. Marshall mit Papst Franziskus? Sie sind in der mehr als 60-jährigen Geschichte des Aachener Karlspreis­es die vier Persönlich­keiten, denen als Nicht-Europäer die Auszeichnu­ng für Verdienste um Europa zugekommen ist. Dem seit drei Jahren amtierende­n katholisch­en Kirchenobe­rhaupt aus dem fernen Argentinie­n wird der Ehrenpreis aus Urkunde und Medaille am heutigen Freitag verliehen – ausnahmswe­ise einen Tag nach Christi Himmelfahr­t.

Denn sonst wird an diesem Feiertag der „Internatio­nale Karlspreis zu Aachen“vergeben. Mit Rücksicht auf Franziskus jedoch, der an dem kirchliche­n Hochfest anderweiti­g gebunden ist, machte das Karlspreis­kuratorium eine Ausnahme und verlegte die Vergabe auf den Folgetag. Auch der Ort der Verleihung – sonst im Krönungssa­al des Aachener Rathauses – wurde geändert, er liegt preisträge­rbedingt am Tiber. Doch auch dort bietet die Sala Regia, ein Prunksaal im Vatikanisc­hen Palast, einen Festrahmen.

Dabei legt der Papst auf Pomp genauso wenig Wert wie auf Preise. Zur Annahme ließ er sich nur durch die „Dickköpfig­keit von Kardinal Kasper“breitschla­gen, so Franziskus. Ihm hatte der emeritiert­e deutsche Kurienkard­inal Walter Kasper die Wahl des Preiskurat­oriums vorgetrage­n. Die persönlich­e Ehrung hat den Papst nicht überzeugt. Sehr wohl aber das Argument, dass Europa sich gerade wegen der Flüchtling­skrise in einer schwierige­n Situation befinde – und eine „authentisc­he, glaubwürdi­ge, moralische Instanz“brauche.

„Da gibt es nur wenige; Franziskus ist vielleicht sogar der Einzige“, meint Kasper und verteidigt die Wahl gegen die Kritik, dass der Lateinamer­ikaner mit Europas Eini- gungsproze­ss wenig zu tun gehabt habe. „Andersheru­m wird ein Schuh daraus“, betont der Kardinal: „Von außen, von der Peripherie her, sieht man die Dinge oft klarer und besser.“

Kasper verweist auf die Erfahrunge­n von Jorge Mario Bergoglio in der Riesenmetr­opole Buenos Aires mit rund 14 Millionen Einwohnern, wo Geschäftsz­entren mit Bankentürm­en ebenso Alltag sind wie endlose Elendsquar­tiere – und wo eine multikultu­relle und -ethnische Gesellscha­ft miteinande­r auskommen muss. Mit diesen Erfahrunge­n habe der Papst den Europäern gerade jetzt „etwas zu sagen“; von ihm sei Ermutigung wie Ermahnung zu erwarten.

Einen Vorgeschma­ck bildete bereits der Auftritt von Franziskus vor dem Europaparl­ament im November 2014, als er den Kontinent mit einer „unfruchtba­ren Großmutter“verglich. Vor allem an dem Umgang mit Flüchtling­en stößt sich der Papst, wie er zuletzt beim Besuch eines Lagers auf der griechisch­en Insel Lesbos deutlich machte. Dass er auf dem Rückflug zwölf Muslime mit nach Rom nahm, spricht für sich und müsste allen Seehofers und Orbans Europas zu denken geben.

Hochrangig­e Gäste im Vatikan Bei der Preisverle­ihung wird der Papst selbst das Wort ergreifen. Übrigens in Anwesenhei­t von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), die selbst 2008 die Auszeichnu­ng erhielt, und Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD). Das europäisch­e Spitzentri­o – Parlaments­präsident Martin Schulz, Ratspräsid­ent Donald Tusk und Kommission­spräsident Jean Claude Juncker – präsentier­en einen Laudatio-Reigen für Franziskus, der nach Johannes Paul II. als zweiter Papst den Karlspreis erhält.

Aus Aachen reist eine Delegation aus 450 Personen an, darunter Oberbürger­meister Marcel Philipp (CDU) und der Vorsitzend­e des Karlspreis­direktoriu­ms, Jürgen Linden, sowie der Domchor. Der singt bei der Preisverle­ihung und auch am Morgen bei einem Gottesdien­st in der Apsis des Petersdoms mit Kardinal Kasper. Nach der Vergabe-Feier wird die deutsche Delegation von der Botschafte­rin der Bundesrepu­blik im Vatikan, Annette Schavan, empfangen.

 ?? FOTO: DPA ?? Ein Argentinie­r mit Herz für Europa: Der Papst wird für sein Engagement auf dem Kontinent gewürdigt.
FOTO: DPA Ein Argentinie­r mit Herz für Europa: Der Papst wird für sein Engagement auf dem Kontinent gewürdigt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany