Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Aachen ehrt Franziskus als „moralische Instanz“
Der Papst erhält am Freitag den Karlspreis, den er zunächst aus Bescheidenheit nicht annehmen wollte
AACHEN (KNA) - Was verbindet Bill Clinton, Henry Kissinger und George C. Marshall mit Papst Franziskus? Sie sind in der mehr als 60-jährigen Geschichte des Aachener Karlspreises die vier Persönlichkeiten, denen als Nicht-Europäer die Auszeichnung für Verdienste um Europa zugekommen ist. Dem seit drei Jahren amtierenden katholischen Kirchenoberhaupt aus dem fernen Argentinien wird der Ehrenpreis aus Urkunde und Medaille am heutigen Freitag verliehen – ausnahmsweise einen Tag nach Christi Himmelfahrt.
Denn sonst wird an diesem Feiertag der „Internationale Karlspreis zu Aachen“vergeben. Mit Rücksicht auf Franziskus jedoch, der an dem kirchlichen Hochfest anderweitig gebunden ist, machte das Karlspreiskuratorium eine Ausnahme und verlegte die Vergabe auf den Folgetag. Auch der Ort der Verleihung – sonst im Krönungssaal des Aachener Rathauses – wurde geändert, er liegt preisträgerbedingt am Tiber. Doch auch dort bietet die Sala Regia, ein Prunksaal im Vatikanischen Palast, einen Festrahmen.
Dabei legt der Papst auf Pomp genauso wenig Wert wie auf Preise. Zur Annahme ließ er sich nur durch die „Dickköpfigkeit von Kardinal Kasper“breitschlagen, so Franziskus. Ihm hatte der emeritierte deutsche Kurienkardinal Walter Kasper die Wahl des Preiskuratoriums vorgetragen. Die persönliche Ehrung hat den Papst nicht überzeugt. Sehr wohl aber das Argument, dass Europa sich gerade wegen der Flüchtlingskrise in einer schwierigen Situation befinde – und eine „authentische, glaubwürdige, moralische Instanz“brauche.
„Da gibt es nur wenige; Franziskus ist vielleicht sogar der Einzige“, meint Kasper und verteidigt die Wahl gegen die Kritik, dass der Lateinamerikaner mit Europas Eini- gungsprozess wenig zu tun gehabt habe. „Andersherum wird ein Schuh daraus“, betont der Kardinal: „Von außen, von der Peripherie her, sieht man die Dinge oft klarer und besser.“
Kasper verweist auf die Erfahrungen von Jorge Mario Bergoglio in der Riesenmetropole Buenos Aires mit rund 14 Millionen Einwohnern, wo Geschäftszentren mit Bankentürmen ebenso Alltag sind wie endlose Elendsquartiere – und wo eine multikulturelle und -ethnische Gesellschaft miteinander auskommen muss. Mit diesen Erfahrungen habe der Papst den Europäern gerade jetzt „etwas zu sagen“; von ihm sei Ermutigung wie Ermahnung zu erwarten.
Einen Vorgeschmack bildete bereits der Auftritt von Franziskus vor dem Europaparlament im November 2014, als er den Kontinent mit einer „unfruchtbaren Großmutter“verglich. Vor allem an dem Umgang mit Flüchtlingen stößt sich der Papst, wie er zuletzt beim Besuch eines Lagers auf der griechischen Insel Lesbos deutlich machte. Dass er auf dem Rückflug zwölf Muslime mit nach Rom nahm, spricht für sich und müsste allen Seehofers und Orbans Europas zu denken geben.
Hochrangige Gäste im Vatikan Bei der Preisverleihung wird der Papst selbst das Wort ergreifen. Übrigens in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die selbst 2008 die Auszeichnung erhielt, und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Das europäische Spitzentrio – Parlamentspräsident Martin Schulz, Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean Claude Juncker – präsentieren einen Laudatio-Reigen für Franziskus, der nach Johannes Paul II. als zweiter Papst den Karlspreis erhält.
Aus Aachen reist eine Delegation aus 450 Personen an, darunter Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU) und der Vorsitzende des Karlspreisdirektoriums, Jürgen Linden, sowie der Domchor. Der singt bei der Preisverleihung und auch am Morgen bei einem Gottesdienst in der Apsis des Petersdoms mit Kardinal Kasper. Nach der Vergabe-Feier wird die deutsche Delegation von der Botschafterin der Bundesrepublik im Vatikan, Annette Schavan, empfangen.