Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Merkwürdige Wahl in Serbien
egierung und Opposition in Serbien haben sich gegenseitig beschuldigt, die Parlamentswahl am 24. April und die Nachwahl am vergangenen Mittwoch manipuliert zu haben. Jetzt ist das Ergebnis klar: Regierungschef Aleksandar Vucic hält weiter die absolute Mehrheit in der Volksvertretung, musste aber empfindliche Einbußen hinnehmen. Die radikalen Rechten erstarken und die neue bürgerliche Partei „Es reicht!“sitzt erstmals im Parlament. Doch der Weg zum Ergebnis führt zu ungläubigem Kopfschütteln bei politischem Freund und Feind.
Schon das Wählerverzeichnis mit 6,7 Millionen Stimmberechtigten bei 7,1 Millionen Einwohner gibt zu denken. Danach machten Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren nur 400 000 Menschen aus.
Die staatliche Wahlkommission (RIK) schafft es am Wahlabend erst nach über vier Stunden, Ergebnisse auf der Basis von 40 Prozent ausgezählter Stimmen vorzulegen. Stun- den zuvor gibt Regierungschef Vucic schon das angebliche Ergebnis bekannt.
Lange bleiben zwei Kleinparteien in der Wahlnacht deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde. Erst als die Vorsitzenden der Oppositionsparteien in der Wahlkommission erscheinen und „bisher nie da gewesenen Druck ausüben“, ändert sich das Ergebnis: Die eine Partei erreicht 5,03 Prozent, die andere 5,00 Prozent und verpasst den Einzug ins Parlament um eine einzige Stimme.
Das passiere „einmal in 1000 Jahren“, behauptet der Kommissionsvorsitzende Dejan Djurdjevic. Der nimmt noch während der Auszählung an einer Sondersitzung der regierenden Fortschrittspartei hinter verschlossenen Türen teil.
Die Opposition stellt Strafantrag gegen die staatliche Post: Dutzende per Einschreiben auf den Weg gebrachte Einsprüche seien absichtlich erst nach Ablauf der Frist in der Wahlkommission angekommen.
Die Wahlkommission will bis zum nächsten Montag 98,56 Prozent der Stimmen ausgezählt haben.
Wegen nicht näher bezeichneter „Unregelmäßigkeiten“kam es am Mittwoch zur Nachwahl in 15 Wahllokalen. Obwohl nur weniger als 20 000 Bürger stimmberechtigt waren, veröffentlichte die Wahlkommission erst nach Mitternacht Ergebnisse. Allerdings blieb ein Wahllokal unberücksichtigt, weil es dort erneut zu Unregelmäßigkeiten und angeblich auch zu einer Schlägerei gekommen sein soll.
Obwohl die Regierungspartei SNS bei der Nachwahl weit über die Hälfte der Stimmen einfuhr, blieb ihr Gesamtergebnis bis auf zwei Stellen hinter dem Komma unverändert.
Die kommunistischen Zeiten mit Wahlergebnissen um die 100 Prozent sind seit fast zwei Jahrzehnten vorbei. Doch die vielen Ungereimtheiten des Wahlsystems sind geblieben.
Übrigens: Serbien steht damit nicht allein. Ähnliche Probleme gibt es überall in der Nachbarschaft. In Mazedonien sind zum Beispiel zur Zeit mehrere Hunderttausend Namen im nationalen Wählerverzeichnis mit 1,7 Millionen Bürgern umstritten. (dpa)