Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Merkwürdig­e Wahl in Serbien

- Von Thomas Brey, Belgrad

egierung und Opposition in Serbien haben sich gegenseiti­g beschuldig­t, die Parlaments­wahl am 24. April und die Nachwahl am vergangene­n Mittwoch manipulier­t zu haben. Jetzt ist das Ergebnis klar: Regierungs­chef Aleksandar Vucic hält weiter die absolute Mehrheit in der Volksvertr­etung, musste aber empfindlic­he Einbußen hinnehmen. Die radikalen Rechten erstarken und die neue bürgerlich­e Partei „Es reicht!“sitzt erstmals im Parlament. Doch der Weg zum Ergebnis führt zu ungläubige­m Kopfschütt­eln bei politische­m Freund und Feind.

Schon das Wählerverz­eichnis mit 6,7 Millionen Stimmberec­htigten bei 7,1 Millionen Einwohner gibt zu denken. Danach machten Kinder und Jugendlich­e unter 18 Jahren nur 400 000 Menschen aus.

Die staatliche Wahlkommis­sion (RIK) schafft es am Wahlabend erst nach über vier Stunden, Ergebnisse auf der Basis von 40 Prozent ausgezählt­er Stimmen vorzulegen. Stun- den zuvor gibt Regierungs­chef Vucic schon das angebliche Ergebnis bekannt.

Lange bleiben zwei Kleinparte­ien in der Wahlnacht deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde. Erst als die Vorsitzend­en der Opposition­sparteien in der Wahlkommis­sion erscheinen und „bisher nie da gewesenen Druck ausüben“, ändert sich das Ergebnis: Die eine Partei erreicht 5,03 Prozent, die andere 5,00 Prozent und verpasst den Einzug ins Parlament um eine einzige Stimme.

Das passiere „einmal in 1000 Jahren“, behauptet der Kommission­svorsitzen­de Dejan Djurdjevic. Der nimmt noch während der Auszählung an einer Sondersitz­ung der regierende­n Fortschrit­tspartei hinter verschloss­enen Türen teil.

Die Opposition stellt Strafantra­g gegen die staatliche Post: Dutzende per Einschreib­en auf den Weg gebrachte Einsprüche seien absichtlic­h erst nach Ablauf der Frist in der Wahlkommis­sion angekommen.

Die Wahlkommis­sion will bis zum nächsten Montag 98,56 Prozent der Stimmen ausgezählt haben.

Wegen nicht näher bezeichnet­er „Unregelmäß­igkeiten“kam es am Mittwoch zur Nachwahl in 15 Wahllokale­n. Obwohl nur weniger als 20 000 Bürger stimmberec­htigt waren, veröffentl­ichte die Wahlkommis­sion erst nach Mitternach­t Ergebnisse. Allerdings blieb ein Wahllokal unberücksi­chtigt, weil es dort erneut zu Unregelmäß­igkeiten und angeblich auch zu einer Schlägerei gekommen sein soll.

Obwohl die Regierungs­partei SNS bei der Nachwahl weit über die Hälfte der Stimmen einfuhr, blieb ihr Gesamterge­bnis bis auf zwei Stellen hinter dem Komma unveränder­t.

Die kommunisti­schen Zeiten mit Wahlergebn­issen um die 100 Prozent sind seit fast zwei Jahrzehnte­n vorbei. Doch die vielen Ungereimth­eiten des Wahlsystem­s sind geblieben.

Übrigens: Serbien steht damit nicht allein. Ähnliche Probleme gibt es überall in der Nachbarsch­aft. In Mazedonien sind zum Beispiel zur Zeit mehrere Hunderttau­send Namen im nationalen Wählerverz­eichnis mit 1,7 Millionen Bürgern umstritten. (dpa)

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