Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein bisschen Unfrieden

Der Eurovision Song Contest bietet auch eine Bühne für politische Statements – Ärger um Lied der ukrainisch­en Teilnehmer­in

- Von Claudia Thaler und Andreas Stein

KIEW/MOSKAU (dpa) - Der Eurovision Song Contest, der nächste Woche in Schweden stattfinde­t, ist seit jeher auch Schauplatz politische­r Konfrontat­ionen. Nun schickt die Ukraine eine Krimtatari­n nach Stockholm – und bringt damit russische Politiker gegen sie auf. Ist das Lied der Sängerin Jamala ein Seitenhieb gegen Russlands Präsident Wladimir Putin?

Tatsächlic­h rührt der Song mit dem Titel „1944“an alten Wunden. Es ist das Jahr, in dem Tausende Krimtatare­n während der Herrschaft von Diktator Josef Stalin nach Zentralasi­en deportiert wurden. Erst Jahrzehnte später durften die Krimtatare­n in ihre alte Heimat zurückkehr­en. Die noch in Zentralasi­en geborene Jamala erzählt in ihrem selbst komponiert­en Lied auf Krimtatari­sch und Englisch die Geschichte ihrer Urgroßmutt­er.

Dabei erwähnt Jamala weder Stalin noch die Krimtatare­n. Doch die Zeilen „Ich konnte meine Heimat nicht haben“und der Refrain „Ihr habt meinen Frieden geraubt“könnten auf das Schicksal hindeuten. Viele Krimtatare­n haben sich gegen die Annexion der ukrainisch­en Halbinsel Krim durch Russland 2014 gewehrt. Seitdem wurden Dutzende Aktivisten verhaftet und einge- schüchtert, Zeitungen und Fernsehsen­der wurden verboten, zahlreiche Familien sind ins ukrainisch­e Kernland geflohen. Jamalas Familie lebt weiterhin auf der Krim, seit mehr als zwei Jahren hat die Sängerin ihre Verwandten nicht mehr gesehen. „Die Krimtatare­n leben heute wieder in einem besetztem Gebiet, es ist nicht leicht für sie“, betont Jamala.

Viele Russen fühlen sich von dem musikalisc­hen Beitrag provoziert - jedoch nicht, weil er ein dunkles Kapitel der sowjetisch­en Geschichte thematisie­rt. Er spiele eindeutig auf die Entwicklun­gen auf der Krim an, sagen russische Politiker.

Wenn die Ukraine schon mit einem politische­m Inhalt auftreten will, dann sollte sie ihre eigenen aktuellen Probleme besingen, sagt etwa der kremltreue Duma-Abgeordnet­e Robert Schlegel: „Ein Lied über Korruption oder politische Unterdrück­ung in Kiew könnte auch erfolgreic­h sein.“Jamalas Lied verfolge nur ein Ziel, nämlich „Russland zu verletzen“, sagt der Politiker Wadim Dengin. Der Kreml selbst schweigt bislang zu dem Beitrag.

Die Sängerin sieht die russische Reaktion gelassen. Immerhin habe sie vor dem Eurovision Song Contest weltweites Interesse geweckt. „Wenn sie ruhig reagiert hätten, hätte die Welt dem wahrschein­lich nicht eine solche Bedeutung zugemessen“, sagt sie nach ihrer Nominierun­g der ukrainisch­en „Komsomolsk­aja Prawda“. Die Diskussion würde das Interesse am Schicksal der Krimtatare­n zusätzlich stärken.

ESC-Jury hat strenge Regeln Eine politische Botschaft bestreitet die Sängerin dennoch vehement. Das Lied würde lediglich an die Zeit in Zentralasi­en erinnern. „Jedes Mal, wenn wir uns an den Tisch gesetzt haben, erinnerte Großvater an die Deportatio­n, sprach davon, wie sie kein Brot hatten“, sagt die Sängerin der russischen Webseite „OpenRussia“.

Die ESC-Jury sieht in dem Beitrag keinen Regelverst­oß, die 32-Jährige darf in Stockholm wie geplant auf die Bühne. Weder Titel noch Text seien politisch, urteilte die Europäisch­e ANZEIGE Rundfunkun­ion in Genf. Und die Regeln der Jury sind streng, selten durften Länder mit eindeutige­n politische­n Botschafte­n auf die Bühne.

2009 sorgte Georgien mit dem Lied „We don't wanna Put In“für Aufsehen. Ein Jahr nach dem Krieg mit Russland kritisiert­en die Sänger darin die Politik Putins. Russland, damals Gastgeberl­and des ESC, reagierte erbost. Kremlsprec­her Dmitri Peskow bezeichnet­e den Protestson­g als „Rowdytum“. In der Folge lehnte die Jury den Beitrag ab.

Die Georgier wollten den Text allerdings nicht abmildern und reisten erst gar nicht an. 2011 bekam Weißrussla­nd einen Rüffel: Sängerin Anastasija Winnikowa lobte in ihrem Beitrag die Sowjet-Zeit und durfte nur mit der abgeschwäc­hten Version „I Love Belarus“antreten und schied im Semifinale aus. Die ukrainisch­e Sängerin Jamala will weder als Heldin für die Ukraine, noch als Feindin Russlands gelten. Für keine der beiden Seiten wolle sie sich instrument­alisieren lassen.

Deutschlan­d tritt am 14. Mai beim Eurovision Song Contest mit der Sängerin Jamie-Lee Kriewitz und dem Song „Ghost“an. Zweimal konnten in der ESC-Geschichte deutsche Teilnehmer gewinnen: 2010 holte Lena Meyer-Landrut mit „Satellite“den Titel, 1982 gewann die Sängerin Nicole mit dem Lied „Ein bißchen Frieden“.

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FOTO: DPA Bunter Auftritt mit politische­r Botschaft? Der ESC- Beitrag der Ukraine ist in Russland umstritten.

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