Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Wenn eine Firma Erfahrungen hat mit Übernahmen, dann ZF“
Giorgio Behr über die Arbeit als Aufsichtsratschef von ZF Friedrichshafen und seine Botschaft an die ZFler
FRIEDRICHSHAFEN - ZF Friedrichshafen wird seit dem Jahr 2008 von Giorgio Behr an der Spitze des Aufsichtsrats kontrolliert. Der Schweizer, selbst erfolgreicher Unternehmer, sprach mit dem Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“, Hendrik Groth, Andreas Knoch und Martin Hennings über seine Arbeit beim inzwischen weltweit drittgrößten Automobilzulieferer und den Standort am See.
Herr Behr, ab wann und wie intensiv wurden Sie in den Übernahmeprozess um TRW einbezogen? Ich war natürlich von den ersten Gedankenspielen an mit dabei. Das kann auch gar nicht anders ein. Eine Entscheidung von solch strategischer Reichweite muss von Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam getragen werden – und zwar bevor der Kontakt zu dem potenziellen Akquisitionsobjekt aufgenommen wird. Es ging letztlich ja auch darum, ob wir ZF nach vorne bringen oder eben nicht – Fragen, die den Aufsichtsrat tangieren.
Gab es im Stiftungs- und Gemeinderat Mahner, die angesichts der Größenordnung um die Zukunft des Standorts Friedrichshafen fürchteten? Ich glaube, da blenden Sie einen Teil der ZF-Geschichte aus. Die Übernahmen von Lemförder und Sachs in den Jahren 1984 und 2001 waren zum damaligen Zeitpunkt für ZF vergleichbar in der Größe. Wenn ein Unternehmen Erfahrungen hat mit Übernahmen nicht unbescheidener Größenordnungen, dann ist es ZF. Ich glaube, in Friedrichshafen wird die Übernahme eher als Bestätigung denn als Bedrohung gesehen. Die Rückmeldungen, die ich zur Übernahme bekomme, sind jedenfalls positiv. Das gilt auch für die Signale, die mich über Umwege erreichen. Und das sind ja in der Regel die ehrlicheren.
Böse Zungen behaupten, in Friedrichshafen würden Gemeinderäte Industriepolitik machen … Nein, das stimmt nicht. Ich bin bei den relevanten Gemeinderatssitzungen dabei und möchte an dieser Stelle einmal eine Lanze für die Leute brechen. Natürlich hat jeder Einzelne seine Sicht auf die Dinge. Doch unter dem Strich wird diese Aufgabe mit Respekt, Professionalität und Verantwortung angegangen. Davon kann sich manches Parlament etwas abgucken. Natürlich existieren Erwartungen. Aber die sind aus Sicht der Kommune auch legitim.
Stiftungskonstruktionen in der Unternehmenslandschaft sind in Deutschland gar nicht so selten. Dass ZF über eine Stiftung von ei- ANZEIGE ner Kommune kontrolliert wird, ist dann aber doch eher ungewöhnlich … Solche Konstruktionen werden von den handelnden Persönlichkeiten geprägt. Ein Stiftungskonstrukt kann völlig ungeeignet sein, wenn die eine Seite nur Macht will und die andere nur Arroganz mitbringt. Letztendlich ist alles eine Frage der guten Unternehmensführung. Und an dieser Stelle muss ich dem Stiftungsrat mit Herrn OB Brand an der Spitze ein Kompliment machen: Er macht seinen Job gut, agiert mit Scharfsinn und Maß. Er informiert sich und weiß, wo er eingreifen muss. Eine solche Position kann nämlich auch eine Versuchung sein.
Welche Rolle spielt der Standort Friedrichshafen für den Gesamtkonzern aus Ihrer Sicht? Am Hauptsitz gibt es bei jedem Konzern den größten Schutz, sollte es wirtschaftlich einmal schlechter laufen. Alles was weit weg ist, lässt sich dagegen ohne größere Probleme streichen. Das weiß man, und das wissen auch die Leute in Friedrichshafen genau. Doch man darf diesen Heimvorteil nicht überdehnen. Ich gebe meinen Mitarbeitern bei Behr Bircher Cellpack (BBC) beispiels- weise keine Jobgarantie, aber ich sorge dafür, dass sie sich permanent weiterbilden und fordere von ihnen Flexibilität ein. Das ist wichtig, um in einer solch dynamischen Wirtschaftswelt wie wir sie heute haben zu bestehen. So lautet auch die Botschaft für Friedrichshafen: Man trägt von Seiten der Geschäftsführung Sorge für den Standort, doch der einzelne Mitarbeiter muss auch seinen Beitrag leisten.
Das heißt, Mitarbeiter, die in Friedrichshafen bis zur Rente weiter Lkw-Getriebe montieren wollen, müssen sich Gedanken machen? Oder andersherum: ZFler, die bereit sind, anderes zu machen, bei Arbeitszeit und Bezahlung flexibel sind, werden auch in Zukunft in Friedrichshafen arbeiten können? Ich möchte nicht jedes Wort so unterschreiben. Aber von der Idee her gebe ich Ihnen schon Recht. Wer flexibel ist und offen für neue Herausforderungen, wird in diesem Unternehmen seinen Platz finden.
Sie haben gesagt, dass ZF von den kosteneffizienten Methoden von TRW lernen kann. Gilt das noch, und wie ist das den ZFlern zu vermitteln? Lassen Sie mich das anhand meines eigenen Unternehmens darstellen. Bei BBC gilt die Devise: klein und schnell ist besser als groß und träge. Größe per se nützt mir gar nichts, wenn wir neue Ideen nicht schnell in marktfähige Produkte umsetzen. Friedrichshafen hat lange unter dem „Not-invented-here-Syndrom“gelitten – einer Skepsis gegenüber Produkten und Technologien von außerhalb. Doch das hat sich inzwischen geändert. Gerade die jungen Leute sind heute viel offener Neuem gegenüber. Wie beurteilen Sie den Stand der Integration von TRW? Welche Rückmeldung bekommen Sie vom Vorstand, von Herrn Sommer? Wenn Sie nach dem Stand der Integration fragen, setzte das voraus, dass wir „nur“integrieren wollen. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben klar signalisiert, dass wir nicht traditionell integrieren, sondern viel mehr: nämlich voneinander lernen und uns gegenseitig austauschen, dass wir das Beste aus beiden Welten kombinieren wollen. Herr Sommer hat dieses „Best-of-bothPrinzip“früh angepackt und mit Franz Kleiner auch personifiziert – ich habe das Gefühl, dass das ganz gut läuft.
Der Aufsichtsrat hat sich seit der TRW-Übernahme nicht wesentlich verändert. Muss oder wird das noch passieren? Oder ist das Gremium richtig aufgestellt für den neuen, größeren Konzern? Ich habe in den vergangenen Jahren versucht, den Aufsichtsrat stärker auf Weltmarkterfahrung auszurichten. Mit der Berufung von Ernst Baumann und Margarete Hase – der eine saß im Vorstand von BMW, die andere ist im Vorstand von Deutz – sind wir da ein gutes Stück vorange- kommen. Prinzipiell muss man den Aufsichtsrat aber allein wegen der Unternehmensgröße nicht erweitern. Denn wenn man ehrlich ist, hat das Gremium doch recht beschränkte Möglichkeiten der Beeinflussung.
Welche sind das und wie interpretieren Sie Ihr Aufsichtsratsmandat bei ZF? Der Aufsichtsrat muss die Strategie des Vorstands absegnen. Doch viel wichtiger ist, darauf zu drängen, die Strategie auch einzuhalten. Die meisten Firmenzusammenbrüche resultieren daher, dass das eben nicht ordnungsgemäß gemacht wird. Darüber hinaus muss der Aufsichtsrat die besten Leute für den Vorstand auswählen und formell die Jahresrechnung quittieren. Vor allem aber muss er da sein für den Fall, dass etwas schiefläuft. Und wenn etwas schiefläuft, ist es besser, wenn die handelnden Personen aus dem gleichen Kulturkreis kommen. Weil man sich dann schneller auf Lösungen einigen kann, als wenn bspw. Amerikaner oder Chinesen mit im Gremium sitzen würden. Die ticken in existenzbedrohenden Schieflagen womöglich völlig anders.
Sie halten gut 90 Prozent am Mischkonzern Behr Bircher Cellpack und sind dort Verwaltungsratspräsident, Sie waren bis vor Kurzem Verwaltungsrat von Hilti, sind Aufsichtsratschef bei ZF und Präsident des Handballklubs Kadetten Schaffhausen. Wie bringen Sie diese Fülle an Aufgaben unter einen Hut, ohne dass die Qualität leidet? Die Aufgaben sind machbar ohne Qualitätsabstriche, da ich nicht im Tagesgeschäft bin. Ich kann mich recht gut vorbereiten und lasse den Leuten große Freiräume. Ich kontrolliere schon, aber ich kontrolliere wenige Dinge – die dafür aber gründlich. Wenn ich mich in jedes Detail einmischen würde, wäre ich augenblicklich Gefangener der Agenda. Das will ich vermeiden. Ich behalte mir meine Freiräume – für Hobbys, für Privates. Zudem bin ich ein großer Sitzungshasser. Vielleicht haben Sie schon gehört, dass Meetings bei ZF unter meiner Regie anders, schneller laufen. Den meisten Leuten stinken diese Gesprächsrunden doch, denn man stiehlt ihnen wertvolle Zeit. Sie sitzen größtenteils da und können nichts beitragen. Deshalb muss man beispielsweise bei der BBC Gruppe begründen, warum jemand an einer Sitzung teilnehmen muss.
„Am Hauptsitz gibt es den größten Schutz, sollte es einmal schlechter laufen.“ „Ich bin ein großer Sitzungshasser. Man stiehlt den Leuten wertvolle Zeit.“
Das vollständige Interview mit Giorgio Behr lesen Sie unter:
schwaebische. de/ zf- behr