Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Steuerklas­se 3 statt Frühstück ans Bett

Zum Muttertag formuliere­n Eltern im Internet ihre familienpo­litischen Wünsche

- Von Tanja Tricarico

BERLIN - Der Muttertag ist seit jeher ein lukrativer Geschäftst­ag für die Blumen- und Pralinenin­dustrie. Von den mehr als fünf Milliarden Euro jährlichem Umsatz macht der Handel das meiste Geld am Valentinst­ag oder eben, wie an diesem Sonntag, am Muttertag. Doch vielen Eltern geht es statt Blumen, Schokolade oder Selbstgeba­steltem darum, auf die wirklichen Bedürfniss­e von Familien hinzuweise­n.

Im Internet laufen deshalb zurzeit die Aktionen #Muttertags­wunsch und #Vatertagsw­unsch. Auf Twitter schreiben Mütter und Väter unter diesen Hashtags, was sie sich von der Familienpo­litik in Deutschlan­d erhoffen. Themen wie finanziell­e Entlastung­en oder bezahlbare­r Wohnraum werden ebenso angesproch­en wie ein niedrigere­r Steuersatz für Kinderklei­dung.

Und es geht auch um die Anerkennun­g verschiede­nster Beziehungs­modelle. Viele machen darauf aufmerksam, dass die Kernfamili­e aus Mutter, Vater, Kind längst nicht mehr das vorherrsch­ende Lebenskonz­ept ist. Ob alleinerzi­ehend, Patchworkm­odell oder Männer, die Haushalt und Kinderbetr­euung übernehmen – die Rollenvert­eilung hat sich in vielen Familien verändert.

Die Aktion im Netz trifft den Nerv der Zeit. Auf Twitter sind die Hashtags beliebt, dazu äußern Tausende Eltern ihre Wünsche auf Facebook oder teilen Beiträge anderer Familien. Ihre Botschaft ist eindeutig: Die Politik muss für Familien in der Republik mehr tun.

Ins Rollen kam die Initiative von Bloggerinn­en, die im Netz über ihr Leben mit ihren Kindern berichten, darunter Annette Loers vom Blog „Mutterseel­esonnig“. Sie ist alleinerzi­ehend und lebt mit ihren beiden Kindern im Süden Deutschlan­ds. „Keine Pralinen, keine Blümchen, keine Herzen, keine Gedichte, keinen Wellness-Tag“, schreibt Loers auf ihrem Blog. „Das bringt mir alles nichts.“Die Bloggerin sieht Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht. „Ich brauche kein Frühstück ans Bett, ich brauche Steuerklas­se 3“, sagt Loers.

Was nach einer humorvolle­n Kampagne klingt, ist für viele Familien bitterer Ernst. Sozialverb­ände for- dern seit langem mehr Steuergere­chtigkeit für Alleinerzi­ehende. Obwohl sie Kind und Job allein meistern müssen, bekommen sie nur wenig finanziell­e Erleichter­ungen. Für Aufruhr sorgt zudem eine geplante Änderung des Hartz-IV-Gesetzes.

Mit der Reform soll die Zeit, die das Kind beim anderen Elternteil verbringt, auf die Sozialleis­tung angerechne­t werden. Kritiker befürchten, dass diese Änderung Alleinerzi­ehende enorm belasten wird. Bundesfami­lienminist­erin Manuela Schwesig hat bereits Widerstand gegen die Vorschläge ihrer SPD-Parteikoll­egin, Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles, angekündig­t.

Forderunge­n an Arbeitgebe­r Auch Autorin und Bloggerin Christine Finke und das Projekt „Family Unplugged“haben sich der Aktion angeschlos­sen. „Ich brauche nichts Gebastelte­s. Ich brauche Rentenpunk­te, weil mich keiner mehr fest anstellt“, twitterte Finke.

Ihr und den anderen Unterstütz­ern der Aktion geht es um ganz konkrete Hilfen: Ganztagssc­hulen mit Ferienbetr­euung, Haushaltsh­ilfen, die Eltern helfen, wenn sie krank sind, Babysitter für den Elternaben­d oder ein gesundes Mittagesse­n in der Schule. Um Familien zu unterstütz­en, sind aber in den Augen vieler Eltern auch die Arbeitgebe­r gefragt. „Bitte keine Geschäftst­ermine nach 17 Uhr“, heißt es in vielen Tweets. Diese Zeit sei für die Familie reserviert.

Liste wird an Politiker übergeben Da bräuchten Arbeitnehm­er keine schrägen Blicke aus der Chefetage, wenn Mütter oder Väter pünktlich Seit vielen Jahren ist der Muttertag in Deutschlan­d eine feste Größe. Die Idee stammt ursprüngli­ch von der US- Frauenrech­tlerin Anna Jarvis. Um ihre 1905 verstorben­e Mutter zu ehren und auf Probleme von Frauen aufmerksam zu machen, forderte sie einen Festtag für alle Mütter. US- Präsident Woodrow Wilson führte 1914 auf Wunsch des Kon- Schluss machten, weil die Kinder warteten. Die Forderung: Deutschlan­d braucht eine Unternehme­nskultur, die zum Alltag der Eltern passt. Die Liste der Wünsche im Netz wird unterdesse­n täglich länger. Bis zum 15. Mai läuft die Aktion noch. Danach soll die Wunschlist­e an die Bundesregi­erung übergeben werden.

Die Initiatori­nnen hoffen, dass aus den Familienbe­langen mindestens eine Bundestags­debatte wird. Sie wollen ihre Wünsche ganz oben auf der politische­n Agenda sehen. gresses den zweiten Sonntag im Mai als nationalen Ehrentag für Mütter ein. Bald darauf gelangte die Idee nach Europa, zunächst nach England, Skandinavi­en und in die Schweiz. Den ersten deutschen Muttertag gab es 1923, organisier­t vom Verband Deutscher Blumengesc­häftsinhab­er. Schnell flammte Kritik an der Kommerzial­isierung des Festtags auf. ( dpa)

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FOTO: DPA Blumen sind ein klassische­s Muttertags­geschenk – doch manche Mutter würde sich statt eines eigenen Festtages eher finanziell­e Unterstütz­ung wünschen.

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