Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Vergessene Pläne und unbemerkte Schäden
er weiß, vielleicht tauchen beim Umbau des Ravensburger Rathauses in einer bisher geheimen Kammer weitere brisante Dokumente auf. Die Entdeckung real existierender Pläne für den Bau des Molldietetunnels jedenfalls waren in dieser Woche schon mal ein ziemlicher Knaller. Bisher hieß es stets, von dem Jahrhundert-Bauwerk existiere nur eine gestrichelte Linie auf einer hausgemachten Grafik. Irrtum, sagte Heinz Becker, früherer Referatsleiter im baden-württembergischen Verkehrsministerium, jetzt der „Schwäbischen Zeitung“. Immerhin gibt es einen Plan, der so weit gediehen war, dass er 1998 schon einmal genehmigt worden war, bevor dann der Bund nach Bränden und Unfällen im Mont-Blanc- und St.-Gotthard-Tunnel neue Richtlinien für den Tunnelbau erlassen hatte. Die MolldietePläne wurden 2004 auf Eis gelegt, weil es das Vorhaben nicht mehr in den Bundesverkehrswegeplan geschafft hatte.
Bei null anfangen müsse man deshalb aber in Ravensburg keineswegs, sagt Pensionär Becker, das wäre „unrationell, unökonomisch und befremdlich“. Klingt erst einmal nachvollziehbar, zumal die Planung allen Streitern für den Molldietetunnel am meisten Sorgen bereitet. Beim Regierungspräsidium und im Verkehrsministerium gibt es schlicht zu wenig Personal. Zwar hat die Stadt schon mal angeboten, Anschubhilfe auf eigene Faust zu leisten, doch wachsen freischaffende Tunnelspezialisten auch in Oberschwaben nicht auf den Bäumen. Der Laie denkt sich, dass zumindest eine gute Datengrundlage doch vorhanden sein müsste, auf die zugegriffen werden kann. Und er denkt, vergesst mir die Oldies nicht, die auch etwas von ihrem Beruf verstanden haben. Wenn die Rente mit 70 kommt, wird von diesem Wissen und dieser Erfahrung wieder ein bisschen mehr hinübergerettet ins digitale Zeitalter.
In diesem wird übrigens immer noch und allen Unkenrufen zum Trotz gelesen. Zeitung zum Beispiel, aber natürlich auch Bücher - sogar solche, die auf Papier gedruckt sind. Das Ravensburger Lesefestival hat das wieder eindrucksvoll gezeigt. 1800 meist junge Bücherwürmer kamen an vier Tagen zu den unterschiedlichen Veranstaltungen. Und bei ihren Ausflügen in Phantasie-Welten oder ins Ravensburger Mittelalter lernten sie ganz beiläufig noch etwas - über „Offenheit“nämlich, denn unter diesem Motto stand die dritte Auflage dieses gelungenen Projektes.
Als weniger gelungenes Projekt empfindet die Verwaltung die 2013 aufwendig sanierte Marienplatztiefgarage. Weil das beauftragte Ingenieurbüro bei den vorgeschalteten Untersuchungen des Bauwerks massive Schäden durch eingedrungenes Streusalz übersehen oder nicht beseitigt habe, will die Stadt jetzt vor dem Landgericht klagen. In diesem Zusammenhang wird immer wieder der Spruch vom „Glück im Unglück“bemüht: Hätte es ein Jahr später nicht den verheerenden Brand in der Tiefgarage gegeben und wäre in dessen Folge der gesamte Komplex nicht noch einmal von einem anderen Büro untersucht worden, wären die maroden Stellen vermutlich nicht aufgefallen, bis es vielleicht zu spät gewesen wäre. In drei bis vier Jahren, so heißt es, hätte die Tiefgarage dann ein massives Sicherheitsproblem bekommen. Der Gemeinderat hat völlig recht: Ob hier eine lebensgefährliche Schlamperei vorliegt, muss zweifelsfrei geklärt werden.