Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Klopp weckt den Giganten
Nach dem Finaleinzug in der Europa League feiert Liverpool den deutschen Trainer
LIVERPOOL (SID/dpa) - Jürgen Klopp brüllte seine Euphorie der legendären Tribüne The Kop entgegen, er riss ganz alleine im Mittelkreis die rechte Faust nach oben, einmal, zweimal, dreimal, viermal – und die Antwort der Fans war eine Wand aus Lärm. 40 000 Zuschauer sangen im Anschluss an das 3:0 (1:0) im Halbfinal-Rückspiel der Europa League gegen den FC Villarreal Klopps Namen, so laut, dass „beinahe das Dach wegflog“, wie der „Daily Mirror“feststellte. Nach dem Einzug ins Finale nimmt die Verehrung des deutschen Trainers an der Anfield Road etwas Hymnisches an – und das nach nur sieben Monaten Amtszeit.
Klopp war sein exzessiver Jubel, das Aufpeitschen der Fans anschließend etwas peinlich. „Wenn ich 50 bin, kann ich vielleicht mit sowas aufhören“, sagte er, setzte seine Brille ab und rieb sich den Dreitagebart. „Es waren einfach gigantische Glücksgefühle. Ich bin stolz, was die Jungs abgebrannt haben.“Weil Klopp Anfield emotionalisiert, weil er Energie auf den Platz bringt, werden schon erste Vergleiche mit dem Trainer-Idol Bill Shankly gezogen, der in den 1960er-Jahren den „Liverpool Way“erfunden hat. Selbstverständlich verfrüht. Doch stimmt, was am Freitag das „Liverpool Echo“schrieb: „Jürgen Klopp erweckt einen Giganten zum Leben.“
„Jetzt wollen wir alles!“Im Finale in Basel am 18. Mai gegen den FC Sevilla kann Jürgen Klopp seinen ersten tiefen Fußabdruck in der Stadt der Beatles hinterlassen. „Wir fahren da mit 50 000, 60 000, vielleicht 100 000 Leuten hin. Es ist schön dort, nahe an meiner Heimat“, sagte er lächelnd. Am Freitag setzte der 48-Jährige, in Stuttgart geboren und im Schwarzwald aufgewachsen, bei der Pressekonferenz zum Ligaspiel morgen gegen Watford sogar noch einen drauf: „Wenn man fragt: Wer will dahin? Dann wollen 30 Millionen Leute zum Endspiel!“Unabhängig davon, wie viele Fans letztlich tatsächlich nach Basel reisen werden, klar ist für Klopp: „Jetzt wollen wir alles! Wir werden alles für diesen wunderbaren Verein geben.“
Schon vor dem Spiel gegen Villarreal war in den engen Gassen rund ums Stadion die neue Liverpool- Energie zu spüren. „So viele bengalische Feuer für unseren Mannschaftsbus, das waren vielleicht sogar zu viele“, sagte Klopp. Der deutsche Nationalspieler Emre Can, nach Knöchelverletzung zurück, beschrieb die Szenen: „Unglaublich! Der Rauch war sogar im Bus.“Auch Edel-Fan Campino von der Band Die Toten Hosen stand fünf Minuten nach dem Abpfiff beseelt vor dem VIP-Raum. „Basel habe ich vor zehn Minuten gebucht. Ich bin da“, sagte er mit Liverpool-Schal um den Hals. Auch der Punk-Sänger hat festgestellt, welch hohe Wertschätzung Klopp bereits genießt: „Er hat ein Wahnsinns-Standing.“Das wird sich nochmals verbessern, sollte Klopp in seiner ersten Saison gleich die ersehnte „Silverware“liefern und den Verein mit dem Triumph in Basel ge- gen Titelverteidiger FC Sevilla zurück in die Champions League führen. Mit der Leistung vom Donnerstag dürften die Chancen sehr gut sein. „Die Leistung war unglaublich. Es war sehr emotional und sehr klug, wir haben wunderbare Tore geschossen, und es war sehr verdient“, schwärmte Klopp über sein Team.
Den deutschen Teammanager, wie sie auf der Insel zum Cheftrainer sagen, zu verpflichten, bedeutet aber auch zu akzeptieren, dass die Gefühle manchmal ungezügelt sind. Während des Spiels gingen Klopp und Marcelino, Coach der unterlegenen Spanier, verbal aufeinander los. In der Coaching-Zone musste der vierte Offizielle dazwischengehen, im Presseraum setzte sich der Zwist fort. „Als Trainer ist er gut, aber sein Auftreten mag ich nicht“, sagte Marcelino. Klopp konterte. „Ich würde nicht eine Sekunde lang so sein wollen wie er“, sagte der frühere Dortmund-Trainer gelassen – und fügte generös hinzu, dass auch Marcelino „ein großartiger Trainer“sei.