Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Großkreutz gibt den Einpeitscher
Der Weltmeister will den VfB im Schicksalsspiel gegen Mainz zum Sieg führen
STUTTGART - Es gibt gute Nachrichten für alle Anhänger des VfB Stuttgart und solche, die es werden wollen. Sollten es die Schwaben tatsächlich schaffen, nach 41 Jahren wieder aus der Fußball-Bundesliga abzusteigen, stehen sie nicht alleine da. Einer bleibt, und es ist ein Weltmeister. Kevin Großkreutz verkündete diese Woche, er wolle in jedem Fall am Wasen bleiben, egal was komme. „Reicht es nicht, würde ich niemals so den Verein verlassen, sondern es wieder ausbügeln. Ich brenne. Dafür habe ich zu viel Stolz“, verkündete der 27-jährige Außenverteidiger via Instagram. Da wollte einer wohl ein Zeichen setzen, die Mannschaft wecken, die Öffentlichkeit und die Fans beruhigen. Die Frage ist eben nur, ob sich der VfB im Falle eines Abstiegs einen Mann wie Großkreutz mit seinen geschätzten zwei Millionen Euro Jahresgehalt überhaupt leisten könnte. Schließlich würden den Stuttgartern etwa 30 Millionen Euro im Etat fehlen.
Viel wichtiger als die gut gemeinten Worte ist die Aussicht, dass Kevin Großkreutz heute gegen den FSV Mainz 05 (15.30 Uhr) offenbar wieder in der Startelf steht und verhindern will, dass es das letzte BundesligaHeimspiel des VfB für längere Zeit werden könnte. Nach siebenwöchiger Verletzungspause infolge eines Muskelbündelrisses meldet sich der ExDortmunder zurück, ob er links spielt für den gesperrten Emiliano Insua oder rechts, wo sich beim 2:6 in Bremen der Amateur Matthias Zimmermann versuchte, ist noch die Frage. Egal wo, Großkreutz hat sich vorgenommen, das zuletzt völlig verunsicherte und überforderte Team mitzureißen – respektive im Fall der Fälle, einem Nebenmann die Leviten zu lesen. „Arsch aufreißen – kämpfen – gewinnen. Ausreden zählen nicht mehr“, erklärte Großkreutz.
Tatsächlich sollte nach der Blamage bei Werder jeder Stuttgarter den Ernst der Lage erkannt haben. Verliert der Tabellen-Vorletzte gegen Mainz, wäre er bei gleichzeitigen Siegen der Rivalen Frankfurt, Bremen und Darmstadt bereits heute Abend so gut wie abgestiegen. Andererseits bietet sich in der ausverkauften Mercedes-BenzArena die Chance, vor dem finalen Duell am 34. Spieltag in Wolfsburg einen Befreiungsschlag zu landen. Die Wettanbieter immerhin glauben, dass der VfB trotz seines fast schon chronischen Formtiefs aufgrund seines Restprogramms mit besseren Chancen ins Abstiegskampffinale geht als die Frankfurter, die heute gegen Dortmund ranmüssen und am letzten Spieltag noch in Bremen gastieren. Die Fußballinteressierten aus der Region dagegen sehen es kritischer: 63 Prozent glauben laut einer Umfrage der „Stuttgarter Zeitung“an den direkten Abstieg des VfB. Der Pessimismus hat seine Gründe: Seit dem 26. Spieltag, als der VfB noch acht Punkte Vorsprung auf einen Relegationsplatz hatte, hat das Team an Kampfkraft eingebüßt, die Statistiken belegen es. Lief die Mannschaft zuvor noch 113,6 Kilometer im Schnitt, waren es danach drei Kilometer weniger, auch die Anzahl der Sprints (214 statt 231) und der Zweikämpfe (191 statt 207) ging zurück. Ex-VfB-Verteidiger Thomas Berthold ging scharf ins Gericht mit dem Team: „Mir fehlen bei Stuttgart Typen, die Gift und Galle spucken. Die Mannschaft ergibt sich zu schnell ihrem Schicksal.“
Trainer Jürgen Kramny versuchte nach dem Debakel in Bremen, seine Mannschaft mit zahlreichen Einzelgesprächen wieder aufzurichten: „Es darf am Samstag keine Mannschaft geben, die den Sieg mehr will als wir. Das darf es nicht geben. Es gilt, alles für unseren VfB zu geben“, sagte er. Das Großkreutz-Comeback sei sehr hilfreich: „Kevin ist charakterlich top und hat eine überragende Einstellung. Er ist psychologisch ein wichtiger Faktor für dieses Spiel.“Ebenso wichtig für den VfB ist die Rückkehr von Torjäger und Spielmacher Daniel Didavi, der seine Beckenprellung von Bremen auskuriert hat, und die Rückkehr von Kapitän Christian Gentner, die aufgrund seiner Oberschenkelzerrung allerdings noch fraglich ist. Manche Fans fordern angesichts der jüngsten Schwäche im Sturmzentrum zudem die Wiederauferstehung von Publikumsliebling Cacau (35), der sich zuletzt im Drittligateam verdingte. Das Comeback des Brasilianers hätte tatsächlich einigen Charme, Gerüchten zufolge kokettiert Kramny allerdings eher mit einem Torhütertausch: Mitch Langerak könnte Przemyslaw Tyton ersetzen.
Mainz, die konstante Sensation Die Mainzer, die wieder auf Kapitän Julian Baumgartlinger zurückgreifen können, wollen sich mit einem Sieg endgültig für den Europapokal qualifizieren. Trainer Martin Schmidt sagt: „Stuttgart muss, wir wollen gewinnen. Wir sind bereit für unser Halbfinale und das Finale gegen Berlin. Das feine Füßchen ist da nicht gefragt. Wir brauchen Zweikampfhärte, Mentalität, Leidenschaft und Kampf.“Vier Begriffe für das gleiche Ding also. Der siebte Platz sei für die Mainzer wie die Meisterschaft, sagte der Schweizer. „Sich zum vierten Mal in zehn Jahren für die Europa League zu qualifizieren, wäre toll. Eine solche Bilanz haben nicht viele“, fügte Manager Christian Heidel an. Tatsächlich ist die Konstanz des FSV über die Jahre hinweg eine derartige Sensation, dass sie in der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen wird.
Wie heiß die Mainzer sind, lässt sich auch daran erkennen, dass sie am Sonntag beim großen Festumzug zum 200-jährigen Geburtstag der Region Rheinhessen auf ihren eigenen Partywagen verzichten – auf Anordnung Heidels. Auf den eigenen Wagen zu verzichten – das sind Probleme, die sie in der Autostadt Stuttgart ausnahmsweise auch mal gerne hätten.