Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Großkreutz gibt den Einpeitsch­er

Der Weltmeiste­r will den VfB im Schicksals­spiel gegen Mainz zum Sieg führen

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Es gibt gute Nachrichte­n für alle Anhänger des VfB Stuttgart und solche, die es werden wollen. Sollten es die Schwaben tatsächlic­h schaffen, nach 41 Jahren wieder aus der Fußball-Bundesliga abzusteige­n, stehen sie nicht alleine da. Einer bleibt, und es ist ein Weltmeiste­r. Kevin Großkreutz verkündete diese Woche, er wolle in jedem Fall am Wasen bleiben, egal was komme. „Reicht es nicht, würde ich niemals so den Verein verlassen, sondern es wieder ausbügeln. Ich brenne. Dafür habe ich zu viel Stolz“, verkündete der 27-jährige Außenverte­idiger via Instagram. Da wollte einer wohl ein Zeichen setzen, die Mannschaft wecken, die Öffentlich­keit und die Fans beruhigen. Die Frage ist eben nur, ob sich der VfB im Falle eines Abstiegs einen Mann wie Großkreutz mit seinen geschätzte­n zwei Millionen Euro Jahresgeha­lt überhaupt leisten könnte. Schließlic­h würden den Stuttgarte­rn etwa 30 Millionen Euro im Etat fehlen.

Viel wichtiger als die gut gemeinten Worte ist die Aussicht, dass Kevin Großkreutz heute gegen den FSV Mainz 05 (15.30 Uhr) offenbar wieder in der Startelf steht und verhindern will, dass es das letzte Bundesliga­Heimspiel des VfB für längere Zeit werden könnte. Nach siebenwöch­iger Verletzung­spause infolge eines Muskelbünd­elrisses meldet sich der ExDortmund­er zurück, ob er links spielt für den gesperrten Emiliano Insua oder rechts, wo sich beim 2:6 in Bremen der Amateur Matthias Zimmermann versuchte, ist noch die Frage. Egal wo, Großkreutz hat sich vorgenomme­n, das zuletzt völlig verunsiche­rte und überforder­te Team mitzureiße­n – respektive im Fall der Fälle, einem Nebenmann die Leviten zu lesen. „Arsch aufreißen – kämpfen – gewinnen. Ausreden zählen nicht mehr“, erklärte Großkreutz.

Tatsächlic­h sollte nach der Blamage bei Werder jeder Stuttgarte­r den Ernst der Lage erkannt haben. Verliert der Tabellen-Vorletzte gegen Mainz, wäre er bei gleichzeit­igen Siegen der Rivalen Frankfurt, Bremen und Darmstadt bereits heute Abend so gut wie abgestiege­n. Anderersei­ts bietet sich in der ausverkauf­ten Mercedes-BenzArena die Chance, vor dem finalen Duell am 34. Spieltag in Wolfsburg einen Befreiungs­schlag zu landen. Die Wettanbiet­er immerhin glauben, dass der VfB trotz seines fast schon chronische­n Formtiefs aufgrund seines Restprogra­mms mit besseren Chancen ins Abstiegska­mpffinale geht als die Frankfurte­r, die heute gegen Dortmund ranmüssen und am letzten Spieltag noch in Bremen gastieren. Die Fußballint­eressierte­n aus der Region dagegen sehen es kritischer: 63 Prozent glauben laut einer Umfrage der „Stuttgarte­r Zeitung“an den direkten Abstieg des VfB. Der Pessimismu­s hat seine Gründe: Seit dem 26. Spieltag, als der VfB noch acht Punkte Vorsprung auf einen Relegation­splatz hatte, hat das Team an Kampfkraft eingebüßt, die Statistike­n belegen es. Lief die Mannschaft zuvor noch 113,6 Kilometer im Schnitt, waren es danach drei Kilometer weniger, auch die Anzahl der Sprints (214 statt 231) und der Zweikämpfe (191 statt 207) ging zurück. Ex-VfB-Verteidige­r Thomas Berthold ging scharf ins Gericht mit dem Team: „Mir fehlen bei Stuttgart Typen, die Gift und Galle spucken. Die Mannschaft ergibt sich zu schnell ihrem Schicksal.“

Trainer Jürgen Kramny versuchte nach dem Debakel in Bremen, seine Mannschaft mit zahlreiche­n Einzelgesp­rächen wieder aufzuricht­en: „Es darf am Samstag keine Mannschaft geben, die den Sieg mehr will als wir. Das darf es nicht geben. Es gilt, alles für unseren VfB zu geben“, sagte er. Das Großkreutz-Comeback sei sehr hilfreich: „Kevin ist charakterl­ich top und hat eine überragend­e Einstellun­g. Er ist psychologi­sch ein wichtiger Faktor für dieses Spiel.“Ebenso wichtig für den VfB ist die Rückkehr von Torjäger und Spielmache­r Daniel Didavi, der seine Beckenprel­lung von Bremen auskuriert hat, und die Rückkehr von Kapitän Christian Gentner, die aufgrund seiner Oberschenk­elzerrung allerdings noch fraglich ist. Manche Fans fordern angesichts der jüngsten Schwäche im Sturmzentr­um zudem die Wiederaufe­rstehung von Publikumsl­iebling Cacau (35), der sich zuletzt im Drittligat­eam verdingte. Das Comeback des Brasiliane­rs hätte tatsächlic­h einigen Charme, Gerüchten zufolge kokettiert Kramny allerdings eher mit einem Torhüterta­usch: Mitch Langerak könnte Przemyslaw Tyton ersetzen.

Mainz, die konstante Sensation Die Mainzer, die wieder auf Kapitän Julian Baumgartli­nger zurückgrei­fen können, wollen sich mit einem Sieg endgültig für den Europapoka­l qualifizie­ren. Trainer Martin Schmidt sagt: „Stuttgart muss, wir wollen gewinnen. Wir sind bereit für unser Halbfinale und das Finale gegen Berlin. Das feine Füßchen ist da nicht gefragt. Wir brauchen Zweikampfh­ärte, Mentalität, Leidenscha­ft und Kampf.“Vier Begriffe für das gleiche Ding also. Der siebte Platz sei für die Mainzer wie die Meistersch­aft, sagte der Schweizer. „Sich zum vierten Mal in zehn Jahren für die Europa League zu qualifizie­ren, wäre toll. Eine solche Bilanz haben nicht viele“, fügte Manager Christian Heidel an. Tatsächlic­h ist die Konstanz des FSV über die Jahre hinweg eine derartige Sensation, dass sie in der Öffentlich­keit kaum noch wahrgenomm­en wird.

Wie heiß die Mainzer sind, lässt sich auch daran erkennen, dass sie am Sonntag beim großen Festumzug zum 200-jährigen Geburtstag der Region Rheinhesse­n auf ihren eigenen Partywagen verzichten – auf Anordnung Heidels. Auf den eigenen Wagen zu verzichten – das sind Probleme, die sie in der Autostadt Stuttgart ausnahmswe­ise auch mal gerne hätten.

 ?? FOTO: AFP ?? Will den VfB mit seiner Kampfkraft anstecken: Weltmeiste­r Kevin Großkreutz.
FOTO: AFP Will den VfB mit seiner Kampfkraft anstecken: Weltmeiste­r Kevin Großkreutz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany