Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Erst das Rrroarrrr, dann der Müll
Bei der Tuning-Szene in Singen geht es um das Vorführen der Autos, um den Spaß in der Gruppe – und um Lärmbelästigung, illegale Autorennen und Sachbeschädigung
SINGEN (lsw) - Das Video im Internet zeigt mehrere Autos, die in rasendem Tempo um einen Kreisverkehr fahren. Reifen quietschen, Motoren heulen – im Hintergrund sind johlende Zuschauer zu hören. Jeden Freitag treffen sich Tuning-Fans in Singen (Kreis Konstanz), wenige Kilometer entfernt vom Bodensee – zum Auto gucken, zum Sehen und Gesehenwerden. Für Autoschrauber ist das ein riesiger Spaß – für die Anwohner ein echtes Ärgernis.
Denn was als kleines Treffen einer Gruppe Interessierter begann, wurde mit der Zeit immer größer, wie es bei der Stadt heißt. „Es kamen immer mehr völlig ortsfremde Personen, die keinen Bezug zur Stadt hatten und die demzufolge keinerlei Rücksicht genommen haben“, sagt ein Sprecher. Die Folgen: Müll auf den Parkplätzen, ständige Lärmbelästigung der Anwohner, Sachbeschädigung. In den vergangenen Jahren hätten sich die Beschwerden massiv gehäuft.
Der Kreisverkehr, an dem die Treffen stattfinden, scheint für die PS-Partys wie geschaffen: Er liegt na- he an der Autobahn, um ihn reihen sich Fast-Food-Restaurants, ein Baumarkt, eine Tankstelle. Die perfekte Location – die immer mehr Fans zum Autogucken lockt. Laut Polizei kommen inzwischen überregional Tuning-Begeisterte in die Stadt, selbst aus der Schweiz reisen Teilnehmer an. „Zum Teil waren es mehrere Hundert Tuning-Fans“, sagt Schmidt.
Driften und Rennen Auch die Preisklasse der Autos habe zugenommen – mitunter seien Ferraris oder Maseratis dabei. „Irgendwann kam es zu Auswüchsen – sie haben im Kreisverkehr Darbietungen gemacht, sind gedriftet, damit das Heck ausbricht“, sagt der Sprecher. In den Straßen seien Autorennen gefahren worden. Wie gefährlich das ist, sei den Teilnehmern oft nicht bewusst: „Sie sagen, sie beherrschen ihre Autos.“
Die Spektakel ziehen wiederum Schaulustige an: „Teilweise lassen sie sich mit Campingstühlen nieder und machen ein Event daraus. Die Anwohner haben keinen Freitagabend mehr Ruhe.“Manche Anwohner hätten versucht, das Problem selbst in die Hand zu nehmen – was zum Teil handgreifliche Auseinandersetzungen zur Folge gehabt hätte.
Inzwischen ist die Polizei bei den Treffen präsent. Anwohner haben Hausverbote ausgesprochen, damit die Parkplätze nicht mehr genutzt werden können. Und die Stadt sperrte im vergangenen Jahr in den Sommermonaten jeden Freitag den Kreisverkehr. Bei den Anwohnern sei das gut angekommen, sagt der Sprecher. „Die Szene hat sich im Internet gegenseitig versichert, wie sinnlos die Maßnahme sei.“
Keine einheitliche Struktur Wer auch die andere Seite hören will, muss im Internet suchen. Zwar gibt es in den sozialen Netzwerken Gruppen zu den Tuning-Treffen. Sie alle verweisen aber darauf, dass sie mit der Veranstaltungsplanung nichts zu tun haben. Auch die Stadt hat keinen Kontakt zu ihnen, wie ein Sprecher sagt. „Das Problem aus unserer Sicht ist, dass die Szene selbst nicht so einheitlich strukturiert ist, wie gerne postuliert wird.“In einem Fernsehbeitrag habe ein Schweizer Tuner deutlich gesagt, dass ihm und seinen Kollegen Befindlichkeiten der Deut- schen egal seien – auch die der deutschen Tuner.
Wie groß die Spannungen vor allem zwischen Polizei und Tunern sind, zeigen Einträge bei Facebook: Teilnehmer der Treffen sprechen von überzogenen Strafen und ungerechtfertigten Bußgeldern, beschweren sich über das Vorgehen der Polizei. Die Beamten dagegen berichten von uneinsichtigen Tunern. Die ursprüngliche Gruppe habe nie den Konflikt mit der Polizei gesucht, sagt Schmidt. „Inzwischen gibt es aber auch viele, die das Gefühl haben, sie könnten tun und lassen, was sie wollen. Der eine oder andere sagt sogar: Wenn ich 100 Euro zahlen muss, ist das halt mein Eintrittsgeld.“
Es gibt aber auch versöhnliche Töne: Eine Gruppe von Tunern setzt sich für einen Raum in Singener Randbezirken ein, in denen mit entsprechenden Auflagen Treffen möglich sein könnten. Ein Teilnehmer schlägt im Netz vor, Sponsoren für eine Rennstrecke in der Region, aber außerhalb der Städte zu suchen. „Da könnten dann alle, die gerne Gas geben, ordentlich draufdrücken, es würde niemanden stören, außerhalb der Ortschaften.“