Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Skandinavische Nächte sind stark
Folklore und Jazz aus Dänemark und Finnland beim Bodenseefestival
FRIEDRICHSHAFEN - Die Skandinavische Nacht des Bodenseefestivals im Graf-Zeppelin-Haus wurde eine lange Nacht der Begegnung mit dänischem Folk, norwegischem Tanz, finnischem Tango und einem Wiedersehen mit Gitte Haenning & Band. Dazwischen viel Andrang am Pausenbuffet mit skandinavischen Leckereien, ebenfalls gratis der Ausblick auf das Alpenpanorama über dem Bodensee. Vermutlich war das wunderschöne Wetter an diesem Abend schuld daran, dass der Saal leider nur halb gefüllt war ...
Das tat jedoch der Stimmung des überwiegend Fiftyplus-Publikums keinen Abbruch, das schon dem ersten der drei Programmteile mit der Sängerin Helene Blum und dem Geiger Harald Haugaard sowie der norwegischen Tanzcompany Frikar begeistert folgte. Harald Haugaard übernahm die Moderation des Abends: freundlich, charmant und mit dem unwiderstehlich weichen stimmlosen S im Deutschen. Und dann startete die „Uraufführung“einer Show mit dem Thema Frühling: a cappella-Gesang und dänische Folksongs von Helene Blum, aufgenommen oder begleitet von der Band aus Fiddle, Cello, Gitarre, Kontrabass und Perkussion und von Choreograph Hallgrim Hansegård zusam- men mit der Tänzerin Anita Vika Langodegård in dynamische Schwingung gebracht. Diese Kombination hatte es in sich. Kein harmloser Folk mit verträumten Melodien, sondern ein starker Akustik-Sound mit kraftvollen Einzelstimmen. Dem antwortete der Tanz, eine unbekümmerte Mixtur aus Akrobatik, Irish Dance und Breakdance, faszinierend die kreiselnden Derwisch-Drehungen der beiden, fröhlich dazu passend das puppenähnliche Kleid der Tänzerin und die Motorradhose des Choreographen.
Im zweiten Teil finnischer Tango: Den gibt es in Finnland schon über hundert Jahre, aber erst durch die Kaurismäki-Filme wurde das hier bekannt. Johanna Juhola Reaktori ist eine Gruppe von drei Musikerinnen und einem Live-Elektroniker um die finnische Akkordeonspielerin Johanna Juhola, die dem großen Knopfakkordeon einen eigenen Ton entlockt, verspielter als der Gesang ihres Idols Carlos Gardel, der im Hintergrund über die Leinwand flimmert und virtuos untermalt vor allem von der Pianistin Milla Viljamaa und der Bassistin Sara Puljula. Die drei wirken in ihren clownesken Kostümen – mit Ringelstrümpfen und Ballonrock – sympathisch wie ANZEIGEN aus der Pippi-Langstrumpf-Zeit gefallen.
Ab 23 Uhr kam das Highlight des Abends – zumindest für einen Teil der Zuhörer, für die Gitte Haenning, die Ende Juni ihren 70. Geburtstag feiern wird, noch aus ihrer Schlagerzeit in Deutschland ein Begriff ist. Damit hat diese Sängerin mit dem alterslosen Lachfalten-Gesicht, in helle Jeans, Turnschuhe und einen leichten Trench verpackt, schon lange nichts mehr zu tun und kann dies zuletzt auch nur noch freundlich persiflieren. Sie hat für ihr Programm „All by myself“eine Klasseband dabei mit Friedemann Matzeit (Klavier, Sax), Benedikt Reidenbach (Gitarre), Oliver Potratz (Bass) und Thomas Alkier (Drums), die bei allen verpoppten Jazz-Standards oder verjazzten Popsongs souverän mithält. Gitte Haenning findet den Abstand zum Publikum – „was da ist, ist da“meint sie lakonisch zu den leeren Seitenreihen – zu weit, aber von Song zu Song und von Anekdote zu nächster Moderation hebt sie ihn auf und gibt in anderthalb Stunden alles, was sie musikalisch zu bieten hat. Und das ist bei einer Stimme, der man keine innere Müdigkeit anhört und die zwischen Duke Ellington-Standards, Nina Simones „Go to hell“oder Dylans „Blowin' in the wind“mühelos pendelt, viel mehr als erwartet. Das Publikum: müde, aber begeistert.