Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Anfang vom Ende des Mittelstands
Arthur Millers „Der Tod eines Handlungsreisenden“in Stuttgart mit Peter Kurth in der Hauptrolle
STUTTGART - Eigentlich müsste er wie andere von dem leben können, was er sich erarbeitet hat. Willy Loman allerdings, der die Abzahlung des Kredits für sein Häuschen gerade noch erleben durfte, müsste wegen anderer Schulden die Investition zur Alterssicherung eigentlich sofort wieder verkaufen. Geschrieben hat Arthur Miller den Klassiker zum Thema Altersarmut im Jahr 1949. In Stuttgart inszeniert hat der Regisseur und Bühnenbildner Robert Borgmann. In der Hauptrolle Peter Kurth.
Naturalismus trifft Surreales Der Anfang vom Ende des einigermaßen sicheren mittelständischen Lebens kommt, wenn der Juniorchef ihm kündigt. Da hat der vom amerikanischen Selfmade-Traum beseelte Mann nun ein Leben lang für die Firma Klinken geputzt, und jetzt das: Willy Loman steht vor dem Nichts. Dass er sich noch nicht umgebracht hat, liegt wohl daran, dass er so ein schwacher und widersprüchlicher Mensch ist. Loman kann wie ein Familientyrann auftrumpfen und seiner Frau Linda rüde das Wort verbieten, dann wieder sucht er Zuflucht bei ihr wie ein kleines Kind. In einem Moment ist er zu Tode betrübt, im nächsten wie beseelt von einer unternehmerischen Schnapsidee.
Da können auch die beiden Söhne nicht helfen. Happy verdient zwar, ist aber ein notorischer Frauenheld. Und Biff, der älteste, ist zwar ins Elternhaus zurückgekehrt, verweigert sich aber dem amerikanischen Traum des „Anything goes“. Arthur Millers Klassiker ist aktueller denn je und hat mit Tom Tykwers Verfilmung von Dave Eggers „Ein Hologramm für den König” gerade eine globale Erweiterung erfahren. Da klappert ein Handlungsreisender die arabische Wüste ab. Jetzt, da Robert Borgmann am Stuttgarter Schauspiel den Bühnenklassiker inszeniert hat, fragte man sich, wie dieser von seinem Kunststudium geprägte Regisseur und Bühnenbildner mit Arthur Millers fantastisch überhöhtem psychologischem Naturalismus umgehen würde.
Als Boxer Herbert im Kino Miller mischt Lomans Niedergang mit surrealen Rückblenden in die Familiengeschichte und gibt ein verschachteltes Bühnenbild mit realen und irrealen Wohnräumen vor. Das ist eine Herausforderung. Borgmann jedoch hat einen Schauspieler zur Verfügung, der wie kein zweiter einer Figur Bühnenpräsenz jenseits aller phantastischen Entrückung verleihen kann: Peter Kurth ist zurzeit nicht nur auf der Bühne und im Fernsehen überaus präsent. Wer Glück hat, begegnet ihm auch auf der Kinoleinwand, wo er als alternder Boxer Herbert damit zurecht kommen muss, wie das ist, wenn ein kraftstrotzendes Männerbündel von einer tödlichen Muskelkrankheit heimgesucht wird.
Nun, am Stuttgarter Schauspiel, geht es wieder um einen Mann kurz vor dem Ruhestand. Dieses Mal wird er nicht von einer schicksalhaften Diagnose nieder gedrückt, sondern von den eigenen Lebenslügen.
Teufelskreis der Lebenslügen Peter Kurth spielt den Inbegriff des abstürzenden Mittelklassemenschen, als sei dieser Typus Mensch schon aus der Zeit gefallen. Er kann so was ohne Probleme, indem er einfach nur monolithisch dasteht. Als Loman wirkt Kurth zu Beginn aber doppelt entrückt – mit nacktem Oberkörper und in einem weiten, schwarzen Tüllrock (Kostüme: Birgit Bungum). Ein Rätsel.
Je klarer jedoch wird, dass diese Familie nur noch funktioniert, weil bittere Wahrheiten wie der Seitensprung des Familienoberhauptes unter den Teppich gekehrt werden, wird aus Loman ein Anzugträger und aus dem Monolith ein emotional sprunghafter Mensch. Kurth spielt eine untergründige Aggressivität und dass dieser Mann den jüngeren Sohn (Manolo Bertling) am liebsten aus dem Weg räumen würde. Dann entgleist ihm die Stimme, als wolle er den ältesten Sohn Biff (Manuel Harder) mit Lautstärke erschlagen. Kurth temperiert das so, dass der Schmerz hinter der Wut spürbar ist – bevor die Stimme wieder weich wird, als sei da ein kleiner Willy unterwegs, der einfach nur weg will aus der bösen Welt.
Kraftvoll und verrückt Das passt wunderbar in eine Inszenierung, die mit Arthurs Millers fantastischem Naturalismus spielt. Robert Borgmann erfindet immer wieder irreale Bilder, die in Kontrast zu einem naturalistischen Schauspiel auf einer weitgehend leeren Bühne stehen. Das ist kraftvoll und verrückt zugleich. Robert Kuchenbuch zum Beispiel spielt den reichen und bereits verstorbenen Loman-Bruder Ben, als erscheine ein Gründungsvater der USA. Und Susanne Böwe steht wie eine Beckett-Figur da, grausträhnig wie ein Zeichen der Vergeblichkeit. Dann aber spielt sie doch die emotionale Achterbahnfahrt einer Ehefrau, die das verlogene Familienspiel durchschaut, in der Hoffnung auf einen guten Ausgang aber weiter mitmacht. Irgendwie liebt sie den Gatten ja immer noch.
Und wenn man schon gar nicht mehr damit rechnet, kommt doch wieder dieser Willy Loman wie ein weidwundes Stehaufmännchen auf die Bühne. Am Ende sitzt Peter Kurth vor einem Scheinwerfer auf der nackten Bühne wie er schon vor drei Jahren als Onkel Wanja dasaß. Auch dies inszenierte Robert Borgmann und wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Das kann ihm nun wieder passieren.
Nächste Aufführungen am 18., 22., 29. Mai, 4., 10., und 20. Juni. Kartentelefon ( 0711) 202090 www. staatstheater- stuttgart. de