Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Abschiedsrundgang durch die Vergangenheit
Wilfried Krauss, Stadtrat und Sohn des WLZ-Geschäftsführers, besucht das geschichtsträchtige Gebäude
RAVENSBURG - Das ehemalige WLZ-Gebäude in der Ravensburger Escher-Wyss-Straße steht leer und wird demnächst zu einem BusinessHotel umgebaut. Ehe der historische Ort sein ursprüngliches Gesicht verliert, bekam Wilfried Krauss, Stadtrat der Bürger für Ravensburg, eine Sonderführung vom neuen Besitzer, Andreas Weishaupt. Hintergrund: Krauss’ Vater Valentin war seinerzeit Geschäftsführer der damals unter Württembergischen Warenzentrale WÜWA firmierenden WLZ (heute BayWa). Und er hat im Zweiten Weltkrieg mutmaßlich das Gebäude mitsamt der ganzen Stadt vor der Zerstörung bewahrt.
Der Termin ließ eine Menge Kindheitserinnerungen wieder hoch sprudeln: Für den 1946 geborenen Krauss war das Speichergebäude an der Eisenbahnlinie der perfekte Abenteuerspielplatz gewesen – konnte man sich dort doch prima hinter Getreidesäcken verstecken, Mäuse verfolgen oder immer und immer wieder von oben nach unten rennen: „Da drin herrschte einfach viel Leben“, weiß Krauss zu berichten. Zwei Gerüche verbindet er vor allem mit dem Ort seiner Kindheit: „Zu demjenigen nach Getreide gesellte sich im Herbst immer der nach Äpfeln.“Außerdem trieb er sich als Kind gern in der Traktorenwerkstatt nebenan herum (dort, wo mittlerweile die Kiedaisch-Schule steht), wo es fast ebenso lecker nach Öl und Benzin „duftete“.
Geschichtliche Bedeutung Um derlei Erlebnisse ging es, als Wilfried Krauss gemeinsam mit seinem Bruder Albrecht, dem ehemaligen Vorsitzenden der Rutenfestkommission, jüngst eine „Abschiedsführung“durch das Gelände bekam. Weishaupt will mit seinem Partner Mario Boss das historische Gebäude zu einem Business-Hotel umwandeln (die SZ berichtete). Krauss ist froh, dass der ehemalige Lagerspeicher der Landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft erhalten und entsprechend behutsam saniert wird, schreibt er ihm für die Stadt Ravensburg doch sowohl „architektonische als auch heimatgeschichtliche Bedeutung“zu.
Um einen etwaigen Abbruch zu verhindern, hatte der Stadtrat schon vor Jahren einen Antrag an den damaligen Oberbürgermeister Her- mann Vogler gestellt, das WLZ-Gebäude, wie es im Volksmund genannt wird, unter Denkmalschutz zu stellen. Weil aber in dieser Sache „nichts passiert“sei, ist Wilfried Krauss irgendwann selbst beim Landesdenkmalamt mit seinem Anliegen vorstellig geworden. Die Behörde folgte seiner Argumentation und stufte die 1922 erbaute Lagerhalle vor fünf Jahren als denkmalschutzwürdig ein.
Die Zeit, als seine Eltern mit den beiden Geschwistern noch in der Betriebsleiterwohnung lebten, hat Wilfried Krauss nicht mehr mitbekommen, da die Familie just in seinem Geburtsjahr in die Ziegelstraße umzog. Was der Historiker indes sehr wohl abgespeichert hat, ist der Umstand, dass sein Vater maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Ravensburg von den Bombardements der Alliierten während der letzten Kriegswochen und -monate verschont blieb.
Valentin Krauss habe nämlich – übrigens entgegen der Anweisung seines Vorgesetzten aus der Landeshauptstadt – entschieden, dem Internationalen Roten Kreuz die Lagerhalle in der Escher-Wyss-Straße für Care-Pakete zur Verfügung zu stellen. Diese sogenannten „Liebesga- ben“kamen aus der Schweiz und den USA und wurden dann von Ravensburg aus in ganz Süddeutschland an die alliierten Kriegsgefangenen verteilt. Mit der Folge, dass die Stadt Ravensburg unter dem Schutz des Ro- Rückblende in die letzten Kriegsmonate Anfang 1945: Aufgrund der verheerenden Luftangriffe auf Berlin mussten viele, eigentlich dort angesiedelte staatliche Behörden, ausgelagert werden. Auch die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes, die unter anderem für die Kriegsgefangenen der westlichen Alliierten zuständig war. Sie fand Unterschlupf in den Gebäuden der Stiftung Liebenau. Und sollte Anfang März 1945 ein Zentrallager in Süddeutschland ausfindig machen, von dem aus die 260 000 Kriegsgefangenen in der Umgebung versorgt werden konnten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes ( IKRK) hatte nämlich angeboten, ein solches Depot in Süddeutschland anzulegen und mit Care- Paketen für die alliierten Kriegsgefangenen zu bestücken. Ravensburg bekam den Zuschlag – nicht zuletzt, weil sich sowohl der damalige Bürgermeister Rudolf Walzer als auch WÜWA- Direktor ten Kreuzes stand und nicht aus der Luft angegriffen wurde. „Ich bin bis heute stolz, dass mein Vater damals so entschieden hat“, sagt Wilfried Krauss. „Das hat mich Zivilcourage gelehrt.“ Valentin Krauss dafür eingesetzt hatten. Anfang April 1945 war die Vereinbarung unter Dach und Fach und „ in einer schwierigen Nachtaktion“wurde sowohl ein weißes Schweizerkreuz als auch ein übergroßes Rotes Kreuz auf das Dach der WÜWA- Lagerhallte in der Escher- Wyss- Straße aufgemalt, wie Wilfried Krauss berichtet. Auf diese Weise war auch aus der Luft deutlich zu erkennen, dass dieses Gebäude und mit ihm die gesamte Stadt Ravensburg unter dem Schutz des Internationalen Roten Kreuzes stand. Das IKRK informierte die alliierten Luftstreitkräfte über das Depot in Ravensburg und bat darum, die Stadt nicht zu bombardieren oder mit Tieffliegern zu beschießen. Am 14. April trafen die ersten Güterwaggons mit „ Liebesgaben“im Schussental ein, von wo sie dann mit auf dem Kuppelnauplatz stationierten RotKreuz- Lastwagen weiter verteilt wurden. ( rut)