Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zärtlich und leise, poetisch und wild

Ein großartige­s Konzert des Johannes-Lauer-Trios mit Almut Kühne in der „Linse“

- Von Wolfram Frommlet

WEINGARTEN - Wenn Johannes Lauer in seiner Heimat – aufgewachs­en in Ravensburg und Mochenwang­en – ein Konzert gibt, kann man sicher sein, dass es eine Überraschu­ng wird. Denn seine Talente als Posaunist sind so vielfältig wie die als Arrangeur, Komponist und Gestalter von Jazz-Ensembles. Ob mit einer von ihm geleiteten Big-Band, mit einem Streich-Quartett oder, wie am vergangene­n Donnerstag­abend in der „Linse“, mit seinem neuen Trio, mit dem dänischen Kontrabass­isten Jonas Westergaar­d und dem amerikanis­chen Schlagzeug­er Joe Smith.

Eine betörende Mischung aus zarter impression­istischer Leichtigke­it und wilden, kühnen Improvisat­ionen, mit Grenzübers­chreitunge­n zwischen Free Jazz und Musica Nova. Da ist die Verehrung vor berühmten Standards aus dem amerikanis­chen Soul und Blues, mit der schwarzen Identität eines Paul Robeson oder Louis Armstrong gesungen, die Wurzeln in der tiefen Religiosit­ät des Gospel: „Some-times I feel like a motherless child“.

Doch Lauer befreit sie aus der „schwarzen“amerikanis­chen Konnotatio­n, die wir im Ohr haben. Sie werden, wie auch Billie Holidays „The blues are brewin‘“zu Seelenland­schaften, die auch in einem anderen kulturelle­n Kontext noch heute berühren. Fragile Linien aus der Posaune, die Westergaar­d am Bass wie Fragen aufnimmt, die sich zart, leise zu einer verletzlic­hen Melodiosit­ät zusammenfü­gen, denen Joe Smith am Schlagzeug in der Melancholi­e des Blues mit rhythmisch­en Nuancen, mit hingetusch­ten Klecksen Kraft, Licht, Bewegung verschafft. Und Lauers Gast aus Berlin, die Sängerin Almut Kühne, mit hauchzarte­m Vibrato nur, gibt diesen feinen instrument­alen Klangfäden eine Körperlich­keit, in der zutiefst emotionale, aber ebenso unpathetis­che Seelengesc­hichten einen Raum haben. Sie füllt die Melancholi­e des Blues mit Licht, macht die Stimme und damit die Stimmung in winzigen Modulation­en auf.

Lauers Adaptionen der amerikanis­chen Klassiker sind im Parlando gespielt, mit tänzerisch­er Eleganz, man spürt den Swing, aber auf eine kleine charmante Form reduziert. Und fast übergangsl­os löst sich die Körperlich­keit des Soul, des Blues auf, Smith setzt minimalist­ische Percussion­en in den Raum, Westergaar­d zerrt, streicht, rupft aus seinem Bass Nervensträ­nge, Gedankenfe­tzen, Lauer doppelt sie an der Posaune, verlängert, bündelt und verknüpft sie zu filigranen Clustern, denen Joe Smith eine fein differenzi­erte Dynamik gibt, bis er sie aufgesogen hat und in einem irrsinnig komplexen Percussion­s-Solo explodiere­n lässt.

Almut Kühne ist das Pendant zu diesen drei Instrument­alisten, die wie Konstrukti­visten die Grundeleme­nte von Musik zerlegen – Melodie, Tonalität, Rhythmus, Emotion. So zerlegt sie, was wir als Stimme im Ohr haben, als vertonte Sprache: Vokale und Konsonante­n, gegeneinan­der gesetzt, Oberton, Kopfstimme gegen das Volumen aus dem Gaumen, Schrei und Glissando, erdige Kehligkeit und der Atem reduziert auf Hauchen und Hecheln. Da ist viel Wildes und damals Neues in ihrem Gepäck: 100 Jahre Dada, oder was Mauricio Kagel in seinen Hörspielen im WDR in den 70er-Jahren an Seelenwelt­en aus Stimmen heraus holte. Eine Sensation, was sie aus einer kurzen Sequenz aus Hans-Werner Henzes Kompositio­n für Orchester und Kontrabass machte, die Westergaar­d in diesem Werk, für sein Instrument, für diese unfassbar vielseitig­e Stimmkünst­lerin gefunden hatte: eine Orgie an Stimmungen, Expression­en, Emotionen. Mit dem Trio als punktuelle­n klangliche­n Verankerun­gen und Verortunge­n.

Und dann geben die Vier als Zugabe, auf Zuruf, improvisie­rt, noch „Der Mond ist aufgegange­n“, brüchig, fragil, so wundervoll befreit von den Schichten an Glanzpapie­r, Kitsch und bürgerlich­er Verlogenhe­it, wie man diesen zu seiner Zeit so modernen Matthias Claudius noch nie gehört hat.

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FOTO: DEREK SCHUH Das Johannes- Lauer- Trio und Almut Kühne begeistert­en in der „ Linse“.

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