Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Es gibt in Weingarten keine Wechselstimmung“
Weingartens Alt-Oberbürgermeister Gerd Gerber über Wahlkampf, Wahlbeteiligung und Kandidatur
WEINGARTEN - Weingarten wählt am 12. Juni seinen Oberbürgermeister. Einer, der ganz genau weiß, wie es ist, als Wahlsieger auf dem Rathausbalkon zu stehen und als neuer Oberbürgermeister vereidigt zu werden, ist Gerd Gerber. Der 71-Jährige war von 1992 bis 2008 Rathauschef in Weingarten. Nicolai Kapitz hat sich mit ihm über Wahlsieg, Wahlkampf und Wahlbeteiligung unterhalten – und über die OB-Wahl im Jahr 2000, als Gerd Gerber ohne Gegenkandidaten wiedergewählt wurde.
Herr Gerber, erinnern Sie sich an den 2. Juli 2000? Ja, es war ein sehr schöner und heißer Tag. Sicher sind die Leute deshalb kaum zum Wählen gegangen (lacht). Die Wahlbeteiligung war nicht gut (22,73 Prozent, d. Red.). Da hätte ich mir mehr gewünscht. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass ich oder meine Politik trotz der geringen Wahlbeteiligung abgelehnt werde.
Wie war die Stimmung in der Stadt, als Sie als OB wiedergewählt wurden? 2000 war ein Jahr, in dem wir viel verwirklicht haben. Wir haben das Stadtmuseum im Schlössle geschaffen, den Stadtgarten neu angelegt und die Klosterfestspiele ins Leben gerufen. Das war alles andere als eine deprimierende Stimmung. Auch keine Wechselstimmung.
OB-Wahl Weingarten
Auch in diesem Jahr scheint es beinahe ähnlich zu verlaufen. Es gibt in Klaus Guggenberger nur einen Gegenkandidaten zu Amtsinhaber Markus Ewald... An der Stadt kann das sicher nicht liegen. Weingarten ist ja attraktiv. Mit vielen Möglichkeiten zur Entwicklung. Die Hochschulen bieten ein riesiges Potenzial. Geld war noch nie viel da, aber auch ohne die ganz großen finanziellen Mittel kann man viel gestalten. Es gibt auch im Vorfeld dieser Wahl Projekte, die angestoßen wurden. Die wollen weiter umgesetzt werden. Ich sehe da als Beispiel neue Formen der Bürgerbeteiligung oder die Integrationsar- Von 1992 bis 2008 war Gerd Gerber ( Foto: Scheyer), geboren am 14. Juli 1944 in Colmar im Elsass, Oberbürgermeister von Weingarten. Gerber wuchs in Oberschwaben auf und kennt die Stadt von Kindesbeinen an. In Ravensburg und Biberach ging er zur Schule, er studierte zwischen 1965 und 1970 Rechtswissenschaft in Tübingen und Bonn. Ab 1974 war er Landesbeamter mit Stationen im Baureferat des Regierungspräsidiums Tübingen, an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Stuttgart, im Sozialministerium BadenWürttemberg und bei den Landratsämtern Tübingen und Zollernalbkreis. Von 1988 bis 1992 war er Erster Landesbeamter in Ravensburg. 1992 trat der parteilose Gerber als Kandidat für die Nach- beit. Wenn Menschen eine gute Entwicklung sehen, dann gibt es keine Wechselstimmung. Und sicherlich: Es hängt ja nicht nur an den Sachthemen, wie zum Beispiel am Krankenhaus. Es geht immer auch um die Person. Wenn man sich die Wahlergebnisse in Städten ansieht, in denen der Amtsinhaber nicht wiedergewählt wurde, spielten dort die Persönlichkeit und das Auftreten eine wesentliche Rolle.
Stichwort Krankenhaus: Viele dachten, das Thema könnte den Wahlkampf in diesem Jahr bestimmen. Das Krankenhaus war in Weingarten immer eine feste Größe. Es hat in den Wahlkämpfen 1992 und 2000 überhaupt keine Diskussion darüber stattgefunden. Dass auch jetzt kaum über das Krankenhaus diskutiert wird, überrascht zwar, aber es zeigt, dass die Stadt das Thema gut verkraftet hat.
Welche Themen haben denn in Ihrer Amtszeit die Wahlkämpfe bestimmt? folge von Oberbürgemeister Rolf Gerich in Weingarten an. Er setzte sich in der Wahl gegen Siegfried Abt, damals Bürgermeister von Herbertingen, und den Weingartener Guido Wolf, 2016 CDU- Landtagsspitzendkandidat und späterer Landrat im Landkreis Tuttlingen, durch. 2000 wurde er ohne Gegenkandidaten wiedergewählt. 2008 trat er nicht mehr an. Sein Nachfolger wurde Markus Ewald. Gerd Gerber ist heute in Weingarten vor allem als Vorsitzender des Studentenwerks Weiße Rose aktiv. Seit 2009 ist er Ehrenbürger der Stadt Weingarten. ( nico) 1992 war es vor allem die Verkehrsberuhigung in der Innenstadt und in der Unteren Breite, wegen der vorherigen Schließung der Ettishofer Straße. Das hat mich nach der Wahl noch zwei oder drei Jahre beschäftigt. Nun habe ich mit Erstaunen gelesen, dass die Straße vielleicht wieder geöffnet werden soll. Aber wir haben uns damals auch mit dem emotionalen Thema „autofreier Münsterplatz“beschäftigt. Im Jahr 2000 ging es eher um die Stadtsanierung und die Erschließung der Argonnenkaserne. Da gibt es Parallelen zu heute, wo in näherer Zukunft über das SchulerAreal gesprochen werden wird. Gerd Gerber Ex- Oberbürgermeister in Weingarten
Wie steht Weingarten aus Ihrer Sicht heute da? Die Stadt hat über viele Jahre eine gute Entwicklung genommen. Weingarten wandert immer auf einem Grat. Es geht darum, ein Gleichgewicht zu finden zwischen einem eigenen Profil und der Zusammenarbeit mit den Nachbarn, vor allem mit Ravensburg. Davon profitieren ja beide Städte.
Was glauben Sie, warum es für Markus Ewald bisher nur einen Herausforderer gibt? Es gibt wie gesagt keine Wechselstimmung. Ein Bewerber muss sich eine Kandidatur gut überlegen. Ist sie aussichtsreich? Werde ich unterstützt? Es ist lobenswert, wenn sich Bewerber finden. Aber mit wehenden Fahnen unterzugehen – das ist zwar heroisch, aber bitter und teuer.
Was muss denn ein Kandidat im Wahlkampf tun? Er muss rausgehen zu den Bürgern. Ich selbst habe im Wahlkampf 1992 Menschen auf der Straße angesprochen. An Haustüren habe ich nicht geklingelt, da hatte ich Hemmungen. Es ist wichtig, dass Kandidaten sich mit den Bewohnern und der Stadt auseinandersetzen. Die Wähler merken es ganz schnell, wenn sich jemand nicht mit der Stadt beschäftigt hat und keinen Bezug zu ihr gewinnt. Heute muss der Wahlkampf natürlich auch im Internet und in den Sozialen Medien betrieben werden. Wir hatten damals Flugblätter und Plakate.
1992 war Ihr eigentlich einziger Wahlkampf. 2000 brauchten Sie ja kaum einen zu führen ... Trotzdem habe ich mich damals in Diskussionen den Bürgern gestellt.
Und wie sind Ihre Erinnerungen an 1992? Einer Ihrer Gegenkandidaten war damals ja Guido Wolf, der 2016 Ministerpräsident werden wollte und nun wohl Landesminister wird. Es war ein sehr fairer Wahlkampf. Wir haben uns nicht wehgetan. Was das Programm anging, unterschie- den wir Kandidaten uns kaum. Schlussendlich war es eine reine Personenwahl.
Spielte es eine Rolle, zu welchem Zeitpunkt Sie Ihre Kandidatur bekannt gegeben haben? Überhaupt nicht. Ich war der letzte aller Bewerber, die sich damals gemeldet haben, erst wenige Tage vor Ende der Bewerbungsfrist. Es hat mir überhaupt nicht geschadet.
„Mit wehenden Fahnen unterzugehen – das ist zwar heroisch, aber bitter und teuer.“
Erinnern Sie sich noch gut an den 24. Mai 1992? Ja, das war ein wundervoller Tag für mich. Es ist wirklich ein tolles, erhebendes Gefühl, wenn man auf den Rathausbalkon tritt, die Vereine gratulieren, und man weiß, dass man jetzt für acht Jahre Oberbürgermeister in dieser schönen Stadt ist.
Was wünschen Sie sich für den 12. Juni? Ich wünsche mir, dass am Abend ein strahlender Sieger auf dem Balkon steht, der es verdient hat, gewählt zu werden. Und ich wünsche mir vor allem zufriedene Bürger.