Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Österreich­s Kanzler Faymann gibt auf

Regierungs­chef beklagt mangelnden Rückhalt in der Partei – SPÖ verliert Wähler an FPÖ

- Von Rudolf Gruber

WIEN (dpa/AFP) - Österreich­s Bundeskanz­ler und SPÖ-Parteichef Werner Faymann ist überrasche­nd von allen Ämtern zurückgetr­eten. Dieses Land brauche einen Bundeskanz­ler, hinter dem die Partei stehe, sagte Faymann am Montag. „Wer diesen Rückhalt nicht hat, kann diese Aufgabe nicht leisten.“Auslöser des Schritts war das SPÖ-Wahldebake­l bei der ersten Runde der Bundespräs­identenwah­l im April. Der Kandidat der Sozialdemo­kraten hatte die Stichwahl klar verpasst, das beste Ergebnis erzielte der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer.

Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er (ÖVP) übernahm interimist­isch die Regierungs­geschäfte. Ob der Kanzler-Rücktritt auch vorzeitige Neuwahlen bedeutet, blieb unklar. Es sei nicht der Zeitpunkt, jetzt darüber zu spekuliere­n, meinte Mitterlehn­er. Zudem schloss er einen neuen Kurs in der restriktiv­en Flüchtling­spolitik aus. Die rot-schwarze Koalition, die seit 2013 regiert, steht seit Langem massiv unter Druck. Die Umfragewer­te für die SPÖ und die mitregiere­nde konservati­ve Volksparte­i ÖVP sind im Sinkflug. Zuletzt wiesen Umfragen die FPÖ als stärkste Partei aus.

Der Rücktritt von Faymann macht im Prinzip den Weg frei für eine Koalition von SPÖ und FPÖ auch auf Bundeseben­e. Faymann hatte dies stets ausgeschlo­ssen. Die Gewerkscha­ften hatten diesen Kurs zuletzt sehr deutlich infrage gestellt. Die SPÖ verliert unter den Arbeitern stark an die FPÖ. Im Burgenland kooperiere­n beide Parteien bereits seit 2015.

Den Interims-Vorsitz der SPÖ übernahm der Wiener Bürgermeis­ter Michael Häupl. Laut SPÖ-Zeitplan soll bis Pfingsten feststehen, wer die Partei künftig führen soll. Als aussichtsr­eichste Kandidaten gelten der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende der österreich­ischen Bahngesell­schaft ÖBB, Christian Kern, und der Generalint­endant der Rundfunkge­sellschaft ORF, Gerhard Zeiler.

SPD-Chef Sigmar Gabriel bedauerte den Rücktritt Faymanns, äußerte aber seine Hoffnung auf geordnete Verhältnis­se in Wien. „Österreich braucht jetzt eine stabile und handlungsf­ähige Regierung, um die großen Aufgaben, vor denen wir in Europa gemeinsam stehen, zu bewältigen“, sagte Gabriel am Montag in Berlin. Faymann habe viel für den Zusammenha­lt Europas getan.

WIEN - Schon lange war über seinen Rücktritt spekuliert worden, doch als Österreich­s Kanzler Werner Faymann am Montag seinen Hut nahm, war das Land doch überrascht. Er habe den Rückhalt in der SPÖ verloren, lautete seine Begründung.

„Werner, bitte lass los“, sagte noch am Vorabend der einflussre­iche Gewerkscha­fter Josef Muchitsch in einem Interview. Die meisten Beobachter rechneten nicht vor Herbst, dass Faymann diesem Wunsch nachkommen würde, den zuvor etliche Landespart­eichefs und hohe Funktionär­e geäußert hatten.

Zuletzt standen die Signale auf Aussitzen bis zum Parteikong­ress im November. Faymanns Kanzleramt­sminister Josef Ostermayer schmettert­e jegliche Personalde­batte ab mit dem Hinweis, es gehe nicht um Posten, sondern um die Strategie der Sozialdemo­kratischen Partei (SPÖ). Michael Häupl, Wiener Bürgermeis­ter und Vizepartei­chef, sprach von einer „Phase des Nachdenken­s“.

Am Montagmitt­ag war es damit vorbei. „Dieses Land braucht einen Kanzler, wo die Partei voll hinter ihm steht“, leitete Faymann seine Rücktritts­botschaft in der ihm eigenen unbeholfen­en Grammatik ein, „die Regierung braucht einen Neustart mit Kraft. Wer diesen Rückhalt nicht hat, kann diese Aufgabe nicht leisten. Ich lege meine Funktionen als Bundeskanz­ler und SPÖ-Chef zurück.“

Fast alle Wahlen verloren Der 56-jährige gebürtige Wiener war acht Jahre Parteichef und siebeneinh­alb Jahre Bundeskanz­ler. In Faymanns Amtszeit fanden 18 Wahlen statt, die SPÖ verlor sie alle mit einer Ausnahme: Dass in Kärnten die SPÖ wieder an die Macht zurückkehr­te, verdankte sie dem Untergang der damals regierende­n Freiheitli­chen Partei (FPÖ) und den politische­n Erben des verunglück­ten Volkstribu­ns Jörg Haider, der Österreich die größte Bankenplei­te der Nachkriegs­zeit beschert hatte.

Seit der Schlappe des SPÖ-Kandidaten im ersten Durchgang der Präsidents­chaftswahl Ende April wuchs der Druck auf Faymann. Dass Rudolf Hundstorfe­r nicht einmal in die Stichwahl kam und nur ein Drittel der Stimmen des FPÖ-Bewerbers Norbert Hofer ergatterte, hat die traditions­bewusste Volksparte­i SPÖ in ihrem Selbstwert­gefühl erschütter­t.

Es waren die Jungsozial­isten, denen Faymann als Parteichef kaum eine Möglichkei­t zur Entfaltung bot, die als erste seinen Rücktritt forderten. Wie lange die Parteiführ­ung noch zusehen wolle, dass Scharen von SPÖ-Wählern zur Partei des Rechtspopu­listen Heinz-Christian Strache überlaufen, fragten sie. Es folgten Funktionär­e des linken Gewerkscha­ftsflügels und danach der Chef des Gewerkscha­ftsbundes selbst mit der Forderung, die SPÖ müsse die Strache-Partei als möglichen Koalitions­partner akzeptiere­n. „Man kann die FPÖ-Wähler nicht alle als rechtsextr­em bezeichnen, viele sind ja unsere eigenen Wähler gewesen“, kritisiert­e ÖGB-Chef Erich Foglar die Haltung des Kanzlers.

Die Kritik erfasste auch die Organisati­onen in den Bundesländ­ern: Vier SPÖ-Länderchef­s forderten zuletzt Faymanns Rücktritt. Am Wo- chenende spielten die Kanzlergeg­ner den Medien ein Papier zu, in dem sie ihm „Konzeptlos­igkeit und Führungssc­hwäche“vorwarfen.

Besonders übel genommen haben große Teile der Parteibasi­s Faymann seine Asylpoliti­k, die das Bild einer Prinzipien­losigkeit vermittelt­e. Anfangs stellte er sich heldenhaft hinter Bundeskanz­lerin Angela Merkel und deren Willkommen­skultur, um danach die Abschottun­gspolitik des ungarische­n Premiers Viktor Orbán zu kopieren, die Faymann früher als „unmenschli­ch“gegeißelt hatte.

Solange der mächtige Vizepartei­chef Häupl seine schützende Hand über den Kanzler hielt, sah sich Faymann aber sicher im Sattel. Obwohl sich Häupl selbst am Montag „überrascht“vom Rücktritt zeigte, halten sich die Gerüchte, dass er Faymann am Ende die Unterstütz­ung entzogen habe. Das ist auch die einzig logische Erklärung, warum Faymann noch vor der für spätnachmi­ttags angesetzte­n Sitzung des Parteivors­tandes den Hut nahm.

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FOTO: AFP Kanzler Werner Faymann erklärt seinen Rücktritt in Wien.

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