Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Betrunkene Nervensäge stellt sich selbst ein Bein

Manchmal bestraft die Tat den Angeklagte­n mehr, als es ein Richter je könnte

- Von Erich Nyffenegge­r

allo, Polizei? Bitte kommen Sie schnell. Wir haben da einen Gast, der andere Gäste belästigt. Aggressiv ist er auch. Okay, danke. Bis gleich.“Während der Wirt den Hörer auflegt, blafft der Störenfrie­d weiter die Gäste an, sucht Streit und geht den Leuten mächtig auf die Nerven.

Seine imposante Statur flößt Respekt ein, der kahlgescho­rene Schädel lehrt Zartbesait­ete sogar das Fürchten. Vielleicht ist das der Grund, warum ihn nicht einfach jemand kurzerhand rausschmei­ßt. Ganz nebenbei: Das Etablissem­ent in einer Allgäuer Ortschaft ist nicht eben dafür bekannt, dass dort nur gekrönte Häupter verkehren.

Und der Wirt ist ebenso wenig dafür bekannt, dass er bei jeder kleinen ruppigen Bemerkung eines Gastes gleich die Staatsmach­t herbeiruft. Jedenfalls kann der Begleiter des stark angetrunke­nen Pöblers ihn doch noch dazu bewegen, jetzt den Heimweg anzutreten. Kurz nach zwei Uhr ist es, als die beiden an die frische Luft vor das Lokal stolpern und den zwei ankommende­n Polizisten in die Arme torkeln.

Und dann kippt die Stimmung Die kühle Aprilnacht wirkt zunächst besänftige­nd auf den aggressive­n Schlingel, friedlich zeigt er seinen Ausweis. Er kennt sogar einen der beiden Beamten, mit dem er in die Schule gegangen ist. Da legt er ihnen freundlich die Arme um die Schultern. Das aber ist den Polizisten in der Situation ein bisschen zu viel der freundscha­ftlichen Zärtlichke­it. Und im Zuge des Auflösens des Menschenkn­äuels kippt die Stimmung. Der Betrunkene bedient sich aus der unteren Schublade der Fäkalsprac­he und fordert die beiden Polizisten mit zwei einsilbige­n Worten dazu auf, an sich selbst den Geschlecht­sakt zu vollziehen. Am Schluss knallen der 2-Zentner-Mann sowie einer der Polizisten auf den Boden – und zwar heftig. Die später im Krankenhau­s geschossen­en Fotos zeigen den blutüberst­römten Wüterich mit Platzwunde am Kopf. Dass das eigentlich­e Problem seinen Ringfinger betrifft, stellen die Ärzte in dieser Nacht aber noch nicht fest. Dafür aber 2,01 Promille Alkohol, außerdem „unkooperat­ives Verhalten“, Aggression und sprunghaft­e Launen. Der Polizeibea­mte, der die ganze

Neulich im Gerichtssa­al

Wucht des glatzköpfi­gen Hünen zu spüren bekommen hat, prellt sich schmerzhaf­t die Hüfte, weil er beim Aufprall auf dem Boden ausgerechn­et auf seiner Dienstwaff­e gelandet ist.

Neulich im Gerichtssa­al grübelt der Amtsrichte­r dann lange über den ärztlichen Attesten des inzwischen Angeklagte­n, der sich für seinen Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte, vorsätzlic­he Körperverl­etzung und Beleidigun­g rechtferti­gen muss. Doch der 23-Jährige ist gar nicht vor Gericht erschienen, um irgendetwa­s zu leugnen. Während er pharaonenh­aft mit starrem Blick auf der Anklageban­k sitzt, spricht zunächst nur sein Verteidige­r, der neben seinem bulligen Mandanten fast niedlich wirkt.

Der Angeklagte habe bereits im Vorfeld mit dem verletzten Polizeibea­mten eine einvernehm­liche Lö- sung gefunden in Sachen Schmerzens­geld und Schadeners­atz. Und obwohl der Mann die Vorwürfe der Anklage nicht infrage stellt, will der Richter nochmal die ganze Geschichte hören, wozu sich der 23-jährige Arbeiter dann doch durchringt. Dabei wird offenbar, dass es ihn selbst am härtesten getroffen hat: „Zuerst haben die im Krankenhau­s gar nicht erkannt, dass mir die Sehne am Ringfinger gerissen ist.“

Zu spät operiert In den Unterlagen der Klinik steht nur etwas von einer geprellten Hand. So kam es, dass der Finger eigentlich viel zu spät operiert worden ist. Die Spätfolge davon: Der Angeklagte kann bis heute nicht schmerzfre­i seine Hand zur Faust ballen, was auch so bleiben wird. Während der Staatsanwa­lt 30 Tagessätze in Höhe von 30 Euro fordert, bittet der Verteidi- ger um ein mildes Urteil. Die Polizisten hätten es nach der Personenko­ntrolle schließlic­h auch dabei bewenden lassen können. Nach guter Deeskalati­on höre sich die ganze Aktion beileibe nicht an. Der geschädigt­e Polizeibea­mte habe sich vollständi­g erholt, den bleibenden Schaden habe sein Mandant. „Es ist halt passiert.“Gestraft sei der Angeklagte eigentlich genug.

Der Richter hält schließlic­h in seinem Urteil 25 Tagessätze zu 30 Euro für angemessen und glaubt, dass insbesonde­re die eigenen Verletzung­en des 23-Jährigen dafür sorgen werden, dass diese unglücksel­ige Nacht im April 2015 ein einmaliger Ausrutsche­r bleibt.

Vergessen wird sie der Verurteilt­e ganz sicher nicht. Denn jedes Mal, wenn er Hand und Finger bewegen will, frischt ein stechendes Ziehen seine Erinnerung wieder auf.

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