Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Betrunkene Nervensäge stellt sich selbst ein Bein
Manchmal bestraft die Tat den Angeklagten mehr, als es ein Richter je könnte
allo, Polizei? Bitte kommen Sie schnell. Wir haben da einen Gast, der andere Gäste belästigt. Aggressiv ist er auch. Okay, danke. Bis gleich.“Während der Wirt den Hörer auflegt, blafft der Störenfried weiter die Gäste an, sucht Streit und geht den Leuten mächtig auf die Nerven.
Seine imposante Statur flößt Respekt ein, der kahlgeschorene Schädel lehrt Zartbesaitete sogar das Fürchten. Vielleicht ist das der Grund, warum ihn nicht einfach jemand kurzerhand rausschmeißt. Ganz nebenbei: Das Etablissement in einer Allgäuer Ortschaft ist nicht eben dafür bekannt, dass dort nur gekrönte Häupter verkehren.
Und der Wirt ist ebenso wenig dafür bekannt, dass er bei jeder kleinen ruppigen Bemerkung eines Gastes gleich die Staatsmacht herbeiruft. Jedenfalls kann der Begleiter des stark angetrunkenen Pöblers ihn doch noch dazu bewegen, jetzt den Heimweg anzutreten. Kurz nach zwei Uhr ist es, als die beiden an die frische Luft vor das Lokal stolpern und den zwei ankommenden Polizisten in die Arme torkeln.
Und dann kippt die Stimmung Die kühle Aprilnacht wirkt zunächst besänftigend auf den aggressiven Schlingel, friedlich zeigt er seinen Ausweis. Er kennt sogar einen der beiden Beamten, mit dem er in die Schule gegangen ist. Da legt er ihnen freundlich die Arme um die Schultern. Das aber ist den Polizisten in der Situation ein bisschen zu viel der freundschaftlichen Zärtlichkeit. Und im Zuge des Auflösens des Menschenknäuels kippt die Stimmung. Der Betrunkene bedient sich aus der unteren Schublade der Fäkalsprache und fordert die beiden Polizisten mit zwei einsilbigen Worten dazu auf, an sich selbst den Geschlechtsakt zu vollziehen. Am Schluss knallen der 2-Zentner-Mann sowie einer der Polizisten auf den Boden – und zwar heftig. Die später im Krankenhaus geschossenen Fotos zeigen den blutüberströmten Wüterich mit Platzwunde am Kopf. Dass das eigentliche Problem seinen Ringfinger betrifft, stellen die Ärzte in dieser Nacht aber noch nicht fest. Dafür aber 2,01 Promille Alkohol, außerdem „unkooperatives Verhalten“, Aggression und sprunghafte Launen. Der Polizeibeamte, der die ganze
Neulich im Gerichtssaal
Wucht des glatzköpfigen Hünen zu spüren bekommen hat, prellt sich schmerzhaft die Hüfte, weil er beim Aufprall auf dem Boden ausgerechnet auf seiner Dienstwaffe gelandet ist.
Neulich im Gerichtssaal grübelt der Amtsrichter dann lange über den ärztlichen Attesten des inzwischen Angeklagten, der sich für seinen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, vorsätzliche Körperverletzung und Beleidigung rechtfertigen muss. Doch der 23-Jährige ist gar nicht vor Gericht erschienen, um irgendetwas zu leugnen. Während er pharaonenhaft mit starrem Blick auf der Anklagebank sitzt, spricht zunächst nur sein Verteidiger, der neben seinem bulligen Mandanten fast niedlich wirkt.
Der Angeklagte habe bereits im Vorfeld mit dem verletzten Polizeibeamten eine einvernehmliche Lö- sung gefunden in Sachen Schmerzensgeld und Schadenersatz. Und obwohl der Mann die Vorwürfe der Anklage nicht infrage stellt, will der Richter nochmal die ganze Geschichte hören, wozu sich der 23-jährige Arbeiter dann doch durchringt. Dabei wird offenbar, dass es ihn selbst am härtesten getroffen hat: „Zuerst haben die im Krankenhaus gar nicht erkannt, dass mir die Sehne am Ringfinger gerissen ist.“
Zu spät operiert In den Unterlagen der Klinik steht nur etwas von einer geprellten Hand. So kam es, dass der Finger eigentlich viel zu spät operiert worden ist. Die Spätfolge davon: Der Angeklagte kann bis heute nicht schmerzfrei seine Hand zur Faust ballen, was auch so bleiben wird. Während der Staatsanwalt 30 Tagessätze in Höhe von 30 Euro fordert, bittet der Verteidi- ger um ein mildes Urteil. Die Polizisten hätten es nach der Personenkontrolle schließlich auch dabei bewenden lassen können. Nach guter Deeskalation höre sich die ganze Aktion beileibe nicht an. Der geschädigte Polizeibeamte habe sich vollständig erholt, den bleibenden Schaden habe sein Mandant. „Es ist halt passiert.“Gestraft sei der Angeklagte eigentlich genug.
Der Richter hält schließlich in seinem Urteil 25 Tagessätze zu 30 Euro für angemessen und glaubt, dass insbesondere die eigenen Verletzungen des 23-Jährigen dafür sorgen werden, dass diese unglückselige Nacht im April 2015 ein einmaliger Ausrutscher bleibt.
Vergessen wird sie der Verurteilte ganz sicher nicht. Denn jedes Mal, wenn er Hand und Finger bewegen will, frischt ein stechendes Ziehen seine Erinnerung wieder auf.