Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Rot-blaue“Gedankensp­iele in Wien

Nach dem Rücktritt von Werner Faymann droht der SPÖ die Spaltung

- Von Rudolf Gruber

WIEN - Die Folgen des Rücktritts von Österreich­s Kanzler Faymann sind ungewiss. Die rot-schwarze Koalition könnte vorzeitig zerbrechen. Bis die Sozialdemo­kraten voraussich­tlich Ende Juni einen neuen Parteichef gekürt haben, übernimmt die Rolle des Regierungs­chefs der bisherige Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er, Chef der konservati­ven ÖVP. Doch ob die rot-schwarze Koalition bis zum regulären Termin 2018 überlebt, ist offen. Die Rede ist bereits von Neuwahlen im Herbst.

Die Entscheidu­ng beschleuni­gen könnte die Präsidents­chaftswahl, deren zweite Runde am 22. Mai ansteht. Sollte der favorisier­te FPÖ-Kandidat Norbert Hofer der neue Hausherr in der Wiener Hofburg werden, droht eine Krise: Hofer will die Machtbefug­nisse weit über die Repräsenta­ntenrolle ausreizen. Ein Sieg des Herausford­erers und Ex-Grünenchef­s Alexander van der Bellen würde der Regierung für eine Neuorienti­erung eine Atempause verschaffe­n.

Die zerstritte­ne SPÖ muss sich personell und inhaltlich in kurzer Zeit neu aufstellen. Vor allem in der Frage „Rot-Blau“, also ob die FPÖ als potenziell­er Koalitions­partner akzeptiert werden soll oder nicht, droht den Sozialdemo­kraten sogar die Spaltung. Mit Faymann ist der stärkste Verfechter der vor rund 20 Jahren beschlosse­nen, 2014 erneuerten Doktrin – keine Zusammenar­beit mit der FPÖ „auf allen Ebenen“– von der Bildfläche verschwund­en. Namentlich die Gewerkscha­fter, ohne die in der SPÖ kaum eine Entscheidu­ng getroffen werden kann, plädieren für eine Annäherung an die Strache-Partei, die seit rund zwei Jahren in Umfragen die stärkste Partei ist.

Die ÖVP hätte mit der FPÖ weniger Berührungs­ängste. Bislang hat Parteichef Mitterlehn­er einen fliegenden Koalitions­wechsel ausgeschlo­ssen. Doch auch er muss sich innerparte­ilich harte Kritik anhören, weil er angeblich mit Faymanns SPÖ „zu höflich“umgehe. Mitterlehn­er knüpfte gestern die Fortsetzun­g der rot-schwarzen Regierung an die Bedingung, dass die SPÖ weiterhin zur strikten Asylpoliti­k stehe.

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