Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Flucht nach vorne
Milchbauern in Ostrach wollen in Krisenzeiten mit einem Großprojekt ihre Existenz sichern
RAVENSBURG - Das weltweite Überangebot auf dem Milchmarkt, die Folgen des Russland-Embargos und die gehemmte Nachfrage aus China bereiten den Milchbauern nach wie vor Kopfschmerzen. Viele Landwirte mussten in den vergangenen Jahren ihren Betrieb einstellen. Vier Familien aus Ostrach im Landkreis Sigmaringen wagen trotz Krisenzeiten die Flucht nach vorne. Sie planen den Bau eines 1000-Kühe-Stalls.
Mit den meist kleinbäuerlichen Strukturen mit im Schnitt rund 40 Kühen pro Hof können die Landwirte aus der Region nicht mit den Großbetrieben aus Nord- und Ostdeutschland mithalten und leiden umso mehr unter dem niedrigen Milchpreis. Für die Familien König, Metzler, Rauch und Kaltenbach lautet daher die Devise Großprojekt statt Resignation. Sie wollen mit 1000 Kühen den größten Stall in Baden-Württemberg bauen.
Der Widerstand gegen den „Milchpark Hahnennest“ist groß. Viele Bauern aus der Umgebung befürchten, dass sie sich gegen das Megaprojekt nicht behaupten können und auch irgendwann ihren Betrieb einstellen müssen. Ende Februar hat der Gemeinderat Ostrach dem Entwurf des Bebauungsplans und der Änderung des Flächennutzungsplanes mehrheitlich zugestimmt. Sechs ANZEIGE Hektar Grundfläche, 240 Meter lang und 60 Meter breit: Der geplante Stall der vier Familien aus Hahnennest wäre ein Paradigmenwechsel in den bäuerlich geprägten Strukturen der baden-württembergischen Milchviehwirtschaft.
Viele Bedenken aus der Nachbarschaft Die Gegner des Milchparks äußern besonders Bedenken, wenn es um das Thema Umweltschutz geht: Das Grundwasser wäre deutlich nitratbelasteter, als es ohnehin in der Region schon sei, und die Luftverschmutzung und Verkehrsbelastung würden zunehmen, so die Befürchtungen. Weitere Stimmen aus der Bevölkerung werfen den Familien vor, dass der Milchpark lediglich dazu diene, um mit dem dort anfallenden Mist die bereits bestehende Biogasanlage zu befeuern. Seit dem Jahr 2012 be-
Ein Liter Milch kostet in einigen Discountern momentan nur noch 46 Cent.
Der Milchpreis befindet sich seit mehr als zwei Jahren im Sinkflug, auch die Abschaffung der Milchquote im April 2015 hat nicht zu einer Beruhigung auf dem Milchmarkt geführt. treiben die vier Bauernfamilien den „Energiepark Hahnennest“. Für Edwin König, einem der Geschäftsführer des geplanten Milchparks, steht besonders der soziale Aspekt im Vordergrund: „Wenn man einen Betrieb auf mehrere Schultern verteilt, kann man auch einmal ohne schlechtes Gewissen in den Urlaub fahren. Ein krankheitsbedingter Ausfall wiegt ebenfalls nicht so schwer, da andere in so einem Fall die Verantwortung übernehmen können“, sagt der 48-Jährige.
„Solche Kooperationen werden in Zukunft zunehmen und sind auch durchaus sinnvoll“, sagt Horst Wenk, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbands Baden-Württemberg. Die Zahl der Zusammenschlüsse unter Landwirten habe sich in den vergangenen Jahren verdreifacht, so Wenk. Auch Maria Heubuch, Milchbäuerin aus
Deutschlandweit haben im Jahr 2015 nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft 3200 Betriebe aufgegeben. In Baden-Württemberg gibt es zurzeit rund 8500 Betriebe, 2010 waren es 11 500, 1984, zur Einführung der Milchquote, mehr als 60 000. (mwe) Leutkirch und Abgeordnete für die Grünen im Europäischen Parlament, befürchtet einen Strukturwandel in der Landwirtschaft in Baden-Württemberg. Heubuch referierte am Freitagabend in der Ostracher Buchbühlhalle zum Thema „1000 Kühe in einem Stall: Sind Agrarfabriken noch zu stoppen?“.
„Ich hänge keinen nostalgischen Fantasien hinterher. Der Trend wird zu größeren Betrieben gehen, auch hier bei uns. Doch der geplante Kuhstall im Hahnennest hat eine ganz andere Dimension und gefährdet die bestehenden und funktionierenden Strukturen vor Ort“, sagt Heubuch in ihrem Vortrag. Für Aussagen wie diese erntete sie immer wieder zustimmenden Applaus an einem Abend mit teils hitzigen Diskussionen.
Solche Veranstaltungen kennt die Familie Zwick aus Ellwangen wohl zu gut. Sie wollte ihren Hof schrittweise auf bis zu 1500 Kühe erweitern. Eineinhalb Jahre wurde auf der Ostalb darüber diskutiert, wie sinnvoll das Vorhaben ist. Mittlerweile hat die Familie diese Pläne aufgrund massiver Kritik zumindest vorerst wieder verworfen. „Wir wollen unseren Hof nach wie vor erweitern, jedoch nicht mithilfe eines Bebauungsplans für ein Sondergebiet. Dieser Vorschlag der Stadt hat bei uns für viel Ärger gesorgt“, heißt es aus der Familie auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“.