Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Harte Arbeit am Mythos
„Athen – Triumph der Bilder“: Das Frankfurter Liebieghaus blättert im Festkalender der antiken Metropole
FRANKFURT - Einen ungewohnten Blick auf die klassische Zeit des antiken Griechenland wirft die neue Ausstellung im Frankfurter Liebieghaus. Die Besucher folgen dem Athener Festkalender, der mit seinen Riten, Kulten und Opfern den Gründungsmythos der Stadt in Szene setzt.
Mehr als drei Millionen Besucher im Jahr hat die Akropolis in Athen. Sie ist der Inbegriff dessen, was man mit Antike und Klassik verbindet. Abendland und Demokratie werden immer wieder gerne hier verortet und Messlatten für Kunstfragen gelegt. Auch wer mit dem Gepäck humanistischer Gymnasialbildung oder deren Restposten unterwegs ist, betritt Neuland in dieser Ausstellung, die Athen in seinem „goldenen Zeitalter“(450 bis 400 vor Christus) zeigt.
Athena contra Poseidon Das Konzept mit den zwölf Sälen folgt dem Festkalender. Und der folgt dem Gründungsmythos der Stadt: Die Zeus-Tochter Athena und ihr Götter-Onkel Poseidon streiten um die Stadt Athen und die umgebende Landschaft Attika und lassen dabei auch ihre Söhne gegeneinander antreten, Erechtheus und Eumolpos. Namen, die sogar Rätsel-Füchse überfordern. Auf deren Lebensstationen, auf Sieg und Niederlage, auf Geburt, Opfertod und Verwandlung nehmen die vielen Feste Bezug, die Athen und sein Umland feierten.
Vinzenz Brinkmann, Leiter der Antikensammlung im Liebieghaus, verweist auf die Analogie zum Kirchenjahr, das ebenso den Jahresrhythmus im Nachvollzug von Geburt, Tod und Auferstehung kennt. Die verblüffendste Ähnlichkeit zum Christentum zeigt das Kultbild der Athena mit ihrem kleinen Sohn auf Die Forschungsarbeit, die zur neuen Ausstellung des Liebieghauses geführt hat, ist ein Wissenschaftskrimi. 1972 entdeckten Hobbytaucher an der Küste Süditaliens, bei Riace in Kalabrien, zwei Bronzestatuen, die als „ Riace A und B“bezeichnet werden. Da sie kaum beschädigt im Sand lagen und kein Schiffswrack gefunden wurde, geht man davon aus, dass sie absichtlich dort deponiert wurden. Vielleicht um sie vor einem Seeräuberangriff von Bord zu schaffen. Bei der Säuberung kam die hohe Qualität der zwei Meter großen Statuen zutage. Sie wurden auf Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christus datiert. Ihre Bedeutung blieb rätselhaft, weil die sich erst aus der fehlenden kriegerischen Staffage ergibt. Mit der näheren Bestimmung beauftragte der italienische Staat das Liebieghaus, wo die Figuren schon 2013 Gegenstand einer Ausstellung waren. dem Arm. Bis auf den Helm, den Athena trägt, entspricht die Statue dem Motiv von Maria mit dem Kinde.
Wie die Jungfrau zum Kind kam Dass sich das Christentum hier orientiert hat, hält Brinkmann für naheliegend. Die Antike schöpfte aus einem großen Mythentopf, aus dem auch die Abstammung des Retters von der Jungfrau stammt. Wie die Jungfrau zum Kind kommt, daraus stricken die alten Griechen einen Krimi: mit fehlgeschlagener Vergewaltigung, Leihmutter und Übergabe des Kleinen im Körbchen.
Das heißt aber nicht, dass auch der antike Festkalender im Christentum überdauert hätte. Bei ihren Ern- Stellen die beiden vor Riace gefundenen Figuren Erechtheus ( links) und Eumolpos dar? Die Frankfurter Wissenschaftler behaupten das.
Auf Grund der Befestigungsmöglichkeiten, die an den Köpfen der Figuren festzustellen sind, zieht Vinzenz Brinkmann beim Krieger A einen Helm und beim Krieger B eine Mütze aus Fuchsfell in Betracht, auf- tefesten schlugen die Athener nach christlichen Maßstäben über die Stränge. Zum Erntedank wurden Kuchen in Form von Geschlechtsteilen gebacken. Winzerfeste waren, traut man den Vasenbildern, GruppensexParties mit Weinbegleitung, wie sie die Remstal-Kellerei nicht kennt. Ein Krug zeigt eine resolute Athenerin zum Frauenfest mit einem hölzernen Zwei-Meter-Phallus unterm Arm anrücken. Das erinnert allenfalls an die Ravensburger Sitte, samstags die Innenstadt mit Gelben Säcken zu stürmen.
Der 13. Saal verlässt dann den Jahreszyklus. Man tritt ins Intendantenzimmer dieser ausgefeilten Kunstund Kultlandschaft, die in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts ent-
grund der Handhaltung bei A die Bewaffnung mit einem Speer, bei B mit einer Streitaxt. Damit weisen Helm und Speer den Krieger A als Athener, Fellkappe und Axt den Krieger B als Thraker aus. standen ist. Es ist die Zeit des Perikles (490-420), über die seine Zeitgenossen sagten, sie sei dem Namen nach eine Demokratie, in Wahrheit aber die Herrschaft eines Mannes gewesen. Das Ausmaß der Projekte, die hier versammelt sind, geht über den Wiederaufbau der in den Perserkriegen zerstörten Stadt und ihrer Akropolis weit hinaus.
Der politische Kontext, in dem die Arbeit an Mythos und Stadtbild steht, kommt in der konzentrierten Frankfurter Schau zwangsläufig weniger in den Blick. Die Beschränkung auf die beeindruckenden Kunstwerke, die überdauert haben, forciert das Staunen. Wie auch der Titel „Triumph der Bilder“, der nach Leni Riefenstahl klingt. Ein einziges Exponat Diese Bestimmung bezieht die Figuren in den Gründungsmythos Athens ein und bestimmt sie als die Söhne von Athena und Poseidon. Der antike Reiseschriftsteller Pausanias hat die Figuren im 2. Jahrhundert nach Christus noch auf der Akropolis gesehen, wo sie als Kontrahenten positioniert waren: „ Beim Tempel der Athena stehen zwei große Bronzestatuen von Männern, die zum Kampf angetreten sind. Den einen nennen sie Erechtheus, den anderen Eumolpos.“Dass die Gründungssage Athens weitgehend unbekannt ist, hängt damit zusammen, dass eine Tragödie des Euripides, die den Stoff aufgreift, verloren gegangen ist. Mit einem Papyrusfund in Paris ist 1960 zumindest das Ende der Tragödie zugänglich geworden. Anlässlich der Ausstellung hat der Münchner Altphilologe Oliver Primavesi das Drama rekonstruiert und im Katalog veröffentlicht. ( man) führt vor Augen, wie der gigantische Mythen-Park finanziert wurde. Auf dem Abguss eines Frieses der Akropolis sieht man große Schalen, die zur Theaterfestspielzeit aufgestellt wurden: für den Tribut, den die Bundesgenossen zum Unterhalt der Kriegsflotte leisten mussten, die in Athen stationiert war.
Perikles’ imperiale Strategie Dass Perikles die Gelder für das Bauprogramm zweckentfremdet hat, findet in den Kommentaren der Ausstellung heimliche Bewunderung als kreative Haushaltsführung. Es klingt ja auch wie eine Friedensbotschaft. Hier geht man in Frankfurt der Festtagsrhetorik dann doch zu sehr auf den Leim. Perikles hat Athens Militärmaschinerie gegen andere Griechenstädte ausgespielt. Diese imperiale Strategie hat daheim den Schub an Demokratie und Lebensstandard möglich gemacht.
Ihren Kern hat die Ausstellung freilich auch nicht im Epochenporträt, sondern im künstlerischen Handwerk. Konkret also in Saal drei: Hier werden zwei eindrucksvolle Bronzefiguren gezeigt, Nachgüsse eines spektakulären Unterwasserfunds. Mit der Deutung der Statuen war das Liebieghaus in den letzten Jahren beschäftigt. Nun präsentiert es das Ergebnis. Es stellt sie als Erechtheus und Eumolpos vor, als die Widersacher im Gründungsmythos Athens, den die Akropolis, wie die originelle Ausstellung zeigt, so monumental inszeniert hat.
Die Ausstellung „Athen – Triumph der Bilder“im Liebieghaus am Frankfurter Museumsufer ist bis 4. September zu sehen. Geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr. Katalog im Imhof- Verlag, 29,90 Euro.