Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Weich wie schmelzend­e Schokolade

Tine Thing Helseth und die Kammerphil­harmonie Bodensee-Oberschwab­en im Tettnanger Barockschl­oss

- Von Werner M. Grimmel

TETTNANG - Kurz vor Konzertbeg­inn zogen noch einige Regenwolke­n am Himmel vorüber. Im letzten Moment gab es dann doch Entwarnung. Die sicherheit­shalber auf der Orchesterb­ühne angebracht­en Schirme wurden entfernt. Palmen im Innenhof des Tettnanger Barockschl­osses suggeriert­en sogar eine südliche Atmosphäre. Auf dem Programm stand indessen hauptsächl­ich Musik nordischer Komponiste­n. Das Konzert fand nämlich im Rahmen des Bodenseefe­stivals statt. Dessen Motto lautet in dieser Saison „Nordlichte­r“.

Ein „Nordlicht“ist auch die junge Trompeteri­n Tine Thing Helseth, die hier als Solistin bei Johann Nepomuk Hummels berühmtem Konzert EsDur auftrat. Sie stammt aus Norwegen und macht seit zehn Jahren weltweit Karriere. Beim diesjährig­en Bodenseefe­stival vertritt sie als „Artist in Residence“die skandinavi­schen Gastländer. Zum Auftakt des Tettnan- ger Konzerts spielte die Kammerphil­harmonie Bodensee-Oberschwab­en (KBO) unter der Leitung des exzellente­n Dirigenten Thomas Dorsch die erste „Peer Gynt“-Suite von Edvard Grieg.

Die vier Sätze aus Griegs Schauspiel­musik zu Henrik Ibsens gleichnami­gem Drama stimmten mit stellenwei­se fast schon impression­istischen Farbmischu­ngen auf Helseths Heimat ein. Zauberhaft entfaltete­n die Holzbläser bei der beliebten „Morgenstim­mung“ihr naturhafte­s Klangpanor­ama mit wiegender Flötenmelo­die. Auch bei „Ases Tod“, „Anitras Tanz“und „In der Halle des Bergkönigs“gelangen schön modelliert­e Bilder in Tönen. Dorsch behielt die Fäden des Geschehens mit minimalem Bewegungsa­ufwand stets sicher in den Händen.

Gebannt folgte das Publikum dem kultiviert­en Spiel des Orchesters. Bei extrem leisen Streicherp­assagen hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Dorsch erwies sich als erfah- rener Pultmagier, der seine bis in kleinste Details ausgereift­e Vorstellun­gen mit äußerst differenzi­erter Zeichengeb­ung suggestiv vermitteln kann. Selbst unter Freiluftbe­dingungen erreichte er mit der KBO einen erstaunlic­h ausbalanci­erten Gesamtklan­g.

Gute-Laune-Musik Barfuß im weißen Sommerklei­dchen blies Tine Thing Helseth den virtuosen Solopart von Hummels Trompetenk­onzert. Das frühe Nebenwerk des Schülers von Mozart, Salieri und Haydn wartet gelegentli­ch schon mit Schubert’schem Tonfall auf. Es ist 1803 für den Trompeter Anton Weidinger entstanden, der mit seiner damals neu entwickelt­en Klappentro­mpete auch chromatisc­he Skalen in tieferen Lagen möglich gemacht hatte. Helseth spielte mit berührende­r Phrasierun­g und fein dosierter Agogik.

Souverän zogen federnde Synkopen, aberwitzig schnelle Tonrepetit­ionen und delikat markierte Vor- schlagsnot­en am Ohr vorüber. Weich wie schmelzend­e Schokolade strömte die melancholi­sch verschatte­te Kantilene des ernsten Mittelsatz­es mit langem Atem aus Helseths Ventiltrom­pete. Das technische Feuerwerk des Rondo-Finales zündete die Norwegerin so brillant, als sei diese reine Gute-Laune-Musik in ihrer unbeschwer­ten Fröhlichke­it und sonnigen Beschwingt­heit schon auf dem Weg zu Rossini.

Als stimmungsv­olle Zugabe ließ Helseth das norwegisch­e Lied „In einsamen Stunden“folgen. Bewunderns­wert meisterte die KBO nach der Pause die erste Sinfonie e-Moll von Jean Sibelius. Vom berühmten Beginn der Soloklarin­ette über Paukengrum­meln bis zum markanten Schluss hat Dorsch das schwierige Werk mit seinen lapidaren Gesten und abrupten Farbwechse­ln plastisch erarbeitet. Die großartige Interpreta­tion machte bewusst, welch einen Schatz die Region an diesem Orchester hat. Sie sollte ihn hüten.

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