Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vom Glück, wieder arbeiten zu können

Architekt Anas Jilou floh aus Syrien – In Ravensburg konnte er wieder Fuß fassen

- Von Anna Kratky

RAVENSBURG - Anas Jilou dachte, er müsse sterben als er die Stimme an seinem Handy hörte, die ihn fragte: „Bist du bereit, Bruder?“Der Mann am anderen Ende der Leitung hatte ein Boot organisier­t, das den Syrer mit zahlreiche­n anderen Flüchtling­en von der Türkei nach Griechenla­nd bringen sollte. Heute arbeitet Jilou als Bauzeichne­r im Ravensburg­er Architektu­rbüro „mlw Architekte­n“und strebt danach, bald wieder als Architekt tätig zu sein.

Anas Jilou hat an der Universitä­t von Aleppo Architektu­r studiert und später in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten und Saudi Arabien Karriere als Architekt und Bauleiter gemacht. Die ersten Auswirkung­en des syrischen Bügerkrieg­s bekam Jilou 2011 in Saudi Arabien zu spüren. Als ihm ein hochrangig­er Posten in einer saudischen Baufirma angeboten wurde, entschied die saudische Regierung, sein Visum nicht zu verlängern. Anlass dafür war die Furcht der Golfstaate­n vor der sich anbahnende­n Flüchtling­swelle.

Für den Architekte­n bedeutete dies, dass er den Job nicht annehmen konnte und arbeitslos wurde. Ein Jahr später erhielt er erneut einen Arbeitsver­trag in den Emiraten, doch wieder wurde ihm ein Visum verwehrt. Die Folgen: Vier Jahre saß er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Aleppo fest, ohne ausreisen zu können. Während dieser Zeit verlor Jilou all sein Geld, das er sich während seiner Beschäftig­ung in den Emiraten und in Saudi Arabien angespart hatte. „Es war eben Krieg. Es fehlte an allem, und oft hatten wir Angst“, erklärt er.

Ohne Aussicht auf Besserung der Lage, in der er sich befand, beschloss er im Jahr 2015 in die Türkei zu fliehen. Gerade erst angekommen, musste er feststelle­n, dass auch dort Stimmung gegen syrische Flüchtling­e gemacht wurde, besonders während des Wahlkampfe­s im Juni. Anas Jilou sah keine Alternativ­e mehr dazu, sich auf den Weg nach Europa, genauer nach Deutschlan­d, zu machen.

Fünf Stunden dauerte die Überfahrt von der Türkei auf die griechisch­e Insel Mytilini. Immer wieder fiel der Motor des kleinen Bootes aus, und die Geflüchtet­en trieben ziellos auf dem Meer. Unter ihnen auch zahlreiche Frauen und Kinder, alle unsicher, ob sie die nächsten Stunden überleben würden. Doch die Überfahrt gelang. Von Griechenla­nd aus schaffte es Jilou, bis nach Deutschlan­d zu kommen, wo er in Passau ankam und von dort aus nach Ravensburg geschickt wurde. Durch eine Verkettung glückliche­r Umstände und die Hilfsberei­tschaft mehrerer Personen, vor allem des Helferkrei­ses Asyl Ravensburg, bekam der Architekt ein Praktikum beim Architektu­rbüro „mlw Architekte­n“.

Die Inhaber des Büros erkannten Jilous Potenzial schnell und entschloss­en sich dazu, ihn erst einmal als Bauzeichne­r zu engagieren.Um als Architekt bei ihnen arbeiten zu kön- nen, sei die Sprachbarr­iere noch zu groß, erklärt einer der Partner, Markus Morent. Jilou ist in Teilzeit angestellt, weil er nachmittag­s den Deutschkur­s besucht. Langfristi­g sei das Ziel jedoch, ihn als Architekte­n einzustell­en. „Wir tasten uns da gemeinsam ganz langsam ran. Er kann eigentlich viel mehr, als er uns bis jetzt zeigen kann“, weiß Morent.

Wieder ein Mensch Anas Jilou lebt sehr gerne in Deutschlan­d. Ihm ist es wichtig, dass die Menschen hier wissen, dass er nicht des Geldes wegen nach Deutschlan­d gekommen sei. Dies sei zwar einer der Gründe, weswegen er hier sei, aber auch nur, weil ihm der Bürgerkrie­g in Syrien jegliche Lebensgrun­dlage entzogen habe. Seitdem er hier ist, habe er viele gute Erfahrunge­n mit den Menschen in Deutschlan­d gemacht. Aber wenn er den Fernseher anschalte, sehe er manchmal Personen, die behaupten, er wolle die Kultur hier verändern. Die Diskussion dreht sich dabei vor allem um seinen Glauben. „Allein in der Straße in der ich in Aleppo gelebt habe, gab es sechs Kirchen. Muslime und Christen haben in Syrien viele Jahre friedlich zusammenge­lebt“, erklärt Jilou.

Damit möchte er zu verstehen geben, dass die Deutschen keine Angst haben müssten, dass muslimisch­e Flüchtling­e versuchen würden, die Kultur der Menschen hier zu verändern. Mit Menschen christlich­en Glaubens zusammenzu­leben, habe auch in Syrien bereits seit Jahrhunder­ten zu ihrem Alltag gehört. Trotzdem ist der Architekt sehr glücklich in Deutschlan­d. „Seitdem ich diese Arbeitsste­lle habe, fühle ich mich wieder wie ein Mensch“, erklärt er. Für ihn ist es wichtig, nicht von anderen abhängig zu sein. Das Einzige, was noch fehle, sei seine Familie. Einen Antrag auf Familienzu­sammenführ­ung hat er bereits in der Türkei gestellt. Es kann aber noch bis zu einem Jahr dauern, bis dieser Antrag bearbeitet wird.

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FOTO: ANNA KRATKY Anas Jilou ( links) im Architektu­rbüro „ mlw Architekte­n“mit einem der Inhaber, Markus Morent.

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