Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Früchte für den Fortschritt
Hunderttausende Mangos aus Burkina Faso werden derzeit im Südwesten verkauft – Der Erlös dient Projekten in einem der ärmsten Länder
mélie ist in Ravensburg angekommen! Endlich! Freitag um 17 Uhr kann sie abgeholt werden. Eine 25-köpfige WhatsAppGruppe hat dringend auf die Nachricht gewartet. Jetzt schnarren, fiepen und klopfen die Smartphones: „Karin, ich muss Freitag arbeiten. Komme eine halbe Stunde später.“Amélie kommt aus Burkina Faso und hätte eigentlich schon am Montag am Flughafen Luxemburg eintreffen und dann nach Ravensburg weiterfahren sollen. Egal. Jetzt ist sie da.
Amélie gilt als feinste Mango-Sorte weltweit. Zu empfindlich für den Transport per Schiff. Hunderttausende von Früchten werden in diesen Tagen in der Region und weit darüber hinaus ausgeliefert. Die Abnehmer sind nicht etwa reiche Feinschmecker, denen die Supermarkt-Ware nicht gut genug ist. Sondern Menschen, die von der Idee „Mangos für Bildung“überzeugt sind. Zahlreiche Organisationen in Baden-Württemberg finanzieren so Bildungsprojekte in einem der ärmsten Länder der Welt am Südrand der Sahelzone. Sie managen den Transport per Flugzeug und verfügen über ein Heer von Freiwilligen, die die Früchte an den Endverbraucher bringen und dafür gradestehen, dass der Verkaufserlös auf dem Konto ihrer Organisation landet. Von dem Geld werden Schulen gebaut, Lehrergehälter bezahlt, Brunnen gebohrt und Solaranlagen aufs Dach geschraubt.
Ein Land, 60 Sprachen Haupt-Mango-Lieferant für Oberschwaben und angrenzende Gebiete ist Passam Tiendrebeogo aus Seitingen-Oberflacht bei Tuttlingen, im Ehrenamt 1. Vorsitzender der „Direkthilfe Burkina“. Der Ingenieur, der in Burkina Faso geboren ist, wechselt mühelos vom Hochdeutschen ins Französische und Schwäbische. Weiht er in seiner Heimatregion eine Solaranlage ein, spricht er allerdings Mooré. Mooré, Fulfuda und Dioula sind neben der einzigen Amtssprache Französisch als Verkehrssprachen anerkannt, die im ganzen Land verstanden werden. Daneben gibt es 60 andere Sprachen. Er spricht zuerst zu den Ältesten. Das ist wichtig, sagt er, das verlangt die Tradition. Er wirbt seit Jahren dafür, dass die Burkiner ihre Mädchen genauso in die Schule schicken wie die Jungen.
Er erzählt seinen Landsleuten, dass in Deutschland eine Frau Kanzlerin ist und in Amerika eine Frau vielleicht bald Präsidentin wird. „Wäre das nicht wunderbar, wenn ein Mädchen aus diesem Dorf einst burkinische Botschafterin in Deutschland würde?“Die Ältesten lachen zwar und schütteln die Köpfe. „Aber mittlerweile sind die Hälfte unserer Schüler Mädchen“, ist Passam Tiendrebeogo stolz auf seine diplomatischen Künste.
Etwa 120 000 Mangos in 10 000 Kisten sind in diesem Jahr aus Ougadougou, der burkinischen Haupt- stadt, für die „Direkthilfe Burkina“in Luxemburg gelandet und per Lkw nach Tuttlingen gefahren. Die „Zwischenhändler“holen die Bestellungen für eine Teilregion ab und verteilen sie auf Städte, Dörfer, Schulen, Weltläden. Perpetua Schmidt aus Konstanz hat 171 Kisten bestellt, 25 davon landen bei ihrer ehemaligen Studienfreundin Karin Kießling in Ravensburg. Romana Urban kommt pünktlich, holt sich ihre Kiste Burkina Faso bedeutet übersetzt Land des aufrichtigen Menschen. Der westafrikanische Staat liegt südlich des Nigerbogens und grenzt an Mali, Niger, Benin, Togo, Ghana und die Elfenbeinküste. Hauptstadt des rund 17,6 Millionen Einwohner zählenden Landes ist Ouagadougou. In Burkina Faso werden etwa 60 einheimische Sprachen gesprochen. Der Islam ist neben den traditionellen Glaubensvorstellungen die meistpraktizierte Religion ( Muslime: circa 55 Prozent, Animisten: circa. 30 Prozent, Chris- aus dem Hausflur und ist begeistert: „Einfacher, direkter und wirkungsvoller kann man gar nicht helfen. Ich weiß genau, was mit dem Erlös aus dem Mangoverkauf gemacht wird. Und die Mangos sind einfach weltklasse.“
Wer zum ersten Mal einen Karton mit Mangos gekauft hat, kommt in aller Regel im nächsten Jahr wieder. Wer sich einmal ein Stückchen von einer frischen, gerade reifen Amélie- ten: circa 15 Prozent). Burkina Faso hat nach Angaben des Auswärtigen Amtes ein Bruttoinlandsprodukt Mango in den Mund geschoben hat, will diesen Genuss immer wieder erleben. Die Abholtage werden zu kleinen Familienfesten, zu denen man sich jährlich trifft: „Ach schau, die haben jetzt schon das zweite Kind, wie süß!“Man steht auf der Straße, mit der Mangokiste unterm Arm, macht ein bisschen Smalltalk und verspricht, im nächsten Jahr wiederzukommen. Wer ausnahmsweise mal nicht bestellt, entschuldigt sich von 12,5 Milliarden US- Dollar und gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Regelmäßig wiederkehrende Dürreperioden verursachen immer wieder große Not bei der zumeist als Bauern lebenden Bevölkerung. Burkina Faso wird als Zentralstaat nach französischem Vorbild regiert, Regierungschef ist seit Anfang 2016 Paul Kaba Thiéba. Das Land zeichnet sich laut politischen Beobachtern heute durch eine gewisse Stabilität und kulturelle Vielfalt friedlich zusammenlebender Ethnien aus. ( sz) schon Wochen vorher bei seinem Händler.
Bildung – davon ist Passam Tiendrebeogo, der „Glück hatte und in Burkina Faso das Gymnasium besuchen durfte“, überzeugt. „Wirklich hilfreich ist nur, wenn sich die Menschen selbst helfen lernen und nachhaltig mit guter Grundbildung die Aufgaben anpacken. Dazu benötigen sie zu Beginn unsere Hilfe“, schreibt er auf der Webseite seines Vereins.
Berufsschule wird verbessert Neun Grundschulen und eine Berufsschule hat die Organisation seit ihrer Gründung 1999 bereits gebaut. In diesem Jahr geht es darum, die Berufsschule weiter zu verbessern. Er habe schon einen Container in Frankfurt stehen, sagt Tiendrebeogo, mit Sachen für die Ausbildung von Malern und Gipsern. Und sie wollen eine 800 Meter lange Einfriedung um das Schulgelände herum bauen.
Von Passam, wie er von allen nur genannt wird, bezieht auch der „Förderverein Piéla Bilanga Ochsenhausen“seine Früchte, nachdem die Vereinsgründer einst auf eigene Faust den Import versucht hatten. Weil der Zoll in einigen Mangos die Frucht- fliege gefunden hatte, wurde damals eine Lieferung von 3000 Stück vernichtet. „Wir hatten romantische Vorstellungen von Afrika“, sagt Erwin Wiest, Vorsitzender des Fördervereins. Bis die Ochsenhausener realisiert hatten, dass für den Import frischer, verderblicher, roher Ware aus einem anderen Kontinent „eigentlich das ganze Know-How eines professionellen Spediteurs gebraucht wird“.
Erwin Wiest hat sich seither in zahlreichen Reisen davon überzeugt, dass die Mango-Produktion in Burkina genauso durchstrukturiert ist „wie die Apfel-Produktion am Bodensee“. 10 000 Stück hat sein Verein in diesem Jahr verkauft, wie Wiest berichtet. Viele Schulen beteiligen sich daran, etwa die Realschule in Erolzheim im Kreis Biberach. Schon 34 Jahre gibt es den Ochsenhausener Verein, der sehr viel mehr tut, als nur einmal im Jahr Mangos zu verkaufen. In enger Zusammenarbeit mit dem BMZ, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, haben die Ochsenhausener bisher gebaut: 21 Schulen, 40 Tiefbrunnen, 50 Lehrerwohnungen und zwei Frauenhäuser.