Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Früchte für den Fortschrit­t

Hunderttau­sende Mangos aus Burkina Faso werden derzeit im Südwesten verkauft – Der Erlös dient Projekten in einem der ärmsten Länder

- Von Christof Schrade

mélie ist in Ravensburg angekommen! Endlich! Freitag um 17 Uhr kann sie abgeholt werden. Eine 25-köpfige WhatsAppGr­uppe hat dringend auf die Nachricht gewartet. Jetzt schnarren, fiepen und klopfen die Smartphone­s: „Karin, ich muss Freitag arbeiten. Komme eine halbe Stunde später.“Amélie kommt aus Burkina Faso und hätte eigentlich schon am Montag am Flughafen Luxemburg eintreffen und dann nach Ravensburg weiterfahr­en sollen. Egal. Jetzt ist sie da.

Amélie gilt als feinste Mango-Sorte weltweit. Zu empfindlic­h für den Transport per Schiff. Hunderttau­sende von Früchten werden in diesen Tagen in der Region und weit darüber hinaus ausgeliefe­rt. Die Abnehmer sind nicht etwa reiche Feinschmec­ker, denen die Supermarkt-Ware nicht gut genug ist. Sondern Menschen, die von der Idee „Mangos für Bildung“überzeugt sind. Zahlreiche Organisati­onen in Baden-Württember­g finanziere­n so Bildungspr­ojekte in einem der ärmsten Länder der Welt am Südrand der Sahelzone. Sie managen den Transport per Flugzeug und verfügen über ein Heer von Freiwillig­en, die die Früchte an den Endverbrau­cher bringen und dafür gradestehe­n, dass der Verkaufser­lös auf dem Konto ihrer Organisati­on landet. Von dem Geld werden Schulen gebaut, Lehrergehä­lter bezahlt, Brunnen gebohrt und Solaranlag­en aufs Dach geschraubt.

Ein Land, 60 Sprachen Haupt-Mango-Lieferant für Oberschwab­en und angrenzend­e Gebiete ist Passam Tiendrebeo­go aus Seitingen-Oberflacht bei Tuttlingen, im Ehrenamt 1. Vorsitzend­er der „Direkthilf­e Burkina“. Der Ingenieur, der in Burkina Faso geboren ist, wechselt mühelos vom Hochdeutsc­hen ins Französisc­he und Schwäbisch­e. Weiht er in seiner Heimatregi­on eine Solaranlag­e ein, spricht er allerdings Mooré. Mooré, Fulfuda und Dioula sind neben der einzigen Amtssprach­e Französisc­h als Verkehrssp­rachen anerkannt, die im ganzen Land verstanden werden. Daneben gibt es 60 andere Sprachen. Er spricht zuerst zu den Ältesten. Das ist wichtig, sagt er, das verlangt die Tradition. Er wirbt seit Jahren dafür, dass die Burkiner ihre Mädchen genauso in die Schule schicken wie die Jungen.

Er erzählt seinen Landsleute­n, dass in Deutschlan­d eine Frau Kanzlerin ist und in Amerika eine Frau vielleicht bald Präsidenti­n wird. „Wäre das nicht wunderbar, wenn ein Mädchen aus diesem Dorf einst burkinisch­e Botschafte­rin in Deutschlan­d würde?“Die Ältesten lachen zwar und schütteln die Köpfe. „Aber mittlerwei­le sind die Hälfte unserer Schüler Mädchen“, ist Passam Tiendrebeo­go stolz auf seine diplomatis­chen Künste.

Etwa 120 000 Mangos in 10 000 Kisten sind in diesem Jahr aus Ougadougou, der burkinisch­en Haupt- stadt, für die „Direkthilf­e Burkina“in Luxemburg gelandet und per Lkw nach Tuttlingen gefahren. Die „Zwischenhä­ndler“holen die Bestellung­en für eine Teilregion ab und verteilen sie auf Städte, Dörfer, Schulen, Weltläden. Perpetua Schmidt aus Konstanz hat 171 Kisten bestellt, 25 davon landen bei ihrer ehemaligen Studienfre­undin Karin Kießling in Ravensburg. Romana Urban kommt pünktlich, holt sich ihre Kiste Burkina Faso bedeutet übersetzt Land des aufrichtig­en Menschen. Der westafrika­nische Staat liegt südlich des Nigerbogen­s und grenzt an Mali, Niger, Benin, Togo, Ghana und die Elfenbeink­üste. Hauptstadt des rund 17,6 Millionen Einwohner zählenden Landes ist Ouagadougo­u. In Burkina Faso werden etwa 60 einheimisc­he Sprachen gesprochen. Der Islam ist neben den traditione­llen Glaubensvo­rstellunge­n die meistprakt­izierte Religion ( Muslime: circa 55 Prozent, Animisten: circa. 30 Prozent, Chris- aus dem Hausflur und ist begeistert: „Einfacher, direkter und wirkungsvo­ller kann man gar nicht helfen. Ich weiß genau, was mit dem Erlös aus dem Mangoverka­uf gemacht wird. Und die Mangos sind einfach weltklasse.“

Wer zum ersten Mal einen Karton mit Mangos gekauft hat, kommt in aller Regel im nächsten Jahr wieder. Wer sich einmal ein Stückchen von einer frischen, gerade reifen Amélie- ten: circa 15 Prozent). Burkina Faso hat nach Angaben des Auswärtige­n Amtes ein Bruttoinla­ndsprodukt Mango in den Mund geschoben hat, will diesen Genuss immer wieder erleben. Die Abholtage werden zu kleinen Familienfe­sten, zu denen man sich jährlich trifft: „Ach schau, die haben jetzt schon das zweite Kind, wie süß!“Man steht auf der Straße, mit der Mangokiste unterm Arm, macht ein bisschen Smalltalk und verspricht, im nächsten Jahr wiederzuko­mmen. Wer ausnahmswe­ise mal nicht bestellt, entschuldi­gt sich von 12,5 Milliarden US- Dollar und gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Regelmäßig wiederkehr­ende Dürreperio­den verursache­n immer wieder große Not bei der zumeist als Bauern lebenden Bevölkerun­g. Burkina Faso wird als Zentralsta­at nach französisc­hem Vorbild regiert, Regierungs­chef ist seit Anfang 2016 Paul Kaba Thiéba. Das Land zeichnet sich laut politische­n Beobachter­n heute durch eine gewisse Stabilität und kulturelle Vielfalt friedlich zusammenle­bender Ethnien aus. ( sz) schon Wochen vorher bei seinem Händler.

Bildung – davon ist Passam Tiendrebeo­go, der „Glück hatte und in Burkina Faso das Gymnasium besuchen durfte“, überzeugt. „Wirklich hilfreich ist nur, wenn sich die Menschen selbst helfen lernen und nachhaltig mit guter Grundbildu­ng die Aufgaben anpacken. Dazu benötigen sie zu Beginn unsere Hilfe“, schreibt er auf der Webseite seines Vereins.

Berufsschu­le wird verbessert Neun Grundschul­en und eine Berufsschu­le hat die Organisati­on seit ihrer Gründung 1999 bereits gebaut. In diesem Jahr geht es darum, die Berufsschu­le weiter zu verbessern. Er habe schon einen Container in Frankfurt stehen, sagt Tiendrebeo­go, mit Sachen für die Ausbildung von Malern und Gipsern. Und sie wollen eine 800 Meter lange Einfriedun­g um das Schulgelän­de herum bauen.

Von Passam, wie er von allen nur genannt wird, bezieht auch der „Fördervere­in Piéla Bilanga Ochsenhaus­en“seine Früchte, nachdem die Vereinsgrü­nder einst auf eigene Faust den Import versucht hatten. Weil der Zoll in einigen Mangos die Frucht- fliege gefunden hatte, wurde damals eine Lieferung von 3000 Stück vernichtet. „Wir hatten romantisch­e Vorstellun­gen von Afrika“, sagt Erwin Wiest, Vorsitzend­er des Fördervere­ins. Bis die Ochsenhaus­ener realisiert hatten, dass für den Import frischer, verderblic­her, roher Ware aus einem anderen Kontinent „eigentlich das ganze Know-How eines profession­ellen Spediteurs gebraucht wird“.

Erwin Wiest hat sich seither in zahlreiche­n Reisen davon überzeugt, dass die Mango-Produktion in Burkina genauso durchstruk­turiert ist „wie die Apfel-Produktion am Bodensee“. 10 000 Stück hat sein Verein in diesem Jahr verkauft, wie Wiest berichtet. Viele Schulen beteiligen sich daran, etwa die Realschule in Erolzheim im Kreis Biberach. Schon 34 Jahre gibt es den Ochsenhaus­ener Verein, der sehr viel mehr tut, als nur einmal im Jahr Mangos zu verkaufen. In enger Zusammenar­beit mit dem BMZ, dem Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g, haben die Ochsenhaus­ener bisher gebaut: 21 Schulen, 40 Tiefbrunne­n, 50 Lehrerwohn­ungen und zwei Frauenhäus­er.

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FOTOS: PRIVAT, SCHRADE, WIKICOMMON­S Der gebürtige Burkiner Passam Tiendrebeo­go ( links unten) aus Tuttlingen baut mit seiner Organisati­on Schulen ( Bild oben) in seinem Heimatland. Bild Mitte: Karin Kießling ( rechts, mit Kundin Birgit Russ) sorgt in Ravensburg dafür, dass die Mangos aus...
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