Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
ÖVP-Chef Mitterlehner stellt Forderungen
Zwei Manager gelten in Österreichs SPÖ als Favoriten für den Regierungschef-Posten
WIEN (dpa) - Am Tag eins nach der Ära Faymann herrscht in der Alpenrepublik auch Erleichterung. „Das kann der erste Schritt für einen Neubeginn in Österreich sein“, kommentierte der von den Grünen unterstützte Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen. Die konservative Volkspartei ÖVP knüpft den Fortbestand der rot-schwarzen Koalition in Österreich an mehrere Punkte. Dazu gehöre zentral, dass die sozialdemokratische SPÖ auch nach dem Rücktritt von Faymann an der gemeinsamen restriktiven Linie in der Flüchtlingspolitik festhalte, sagte Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner. Es gelte, diese Politik „kontinuierlich und konsequent“fortzusetzen.
Gegen eine Neuwahl-Debatte Es müsse eine „andere Kultur der Zusammenarbeit“in der Koalition herrschen sowie das Regierungsprogramm aktualisiert werden, sagte Mitterlehner. Obendrein solle wie in Deutschland die Opposition bei großen politischen Weichenstellungen künftig besser einbezogen werden, erklärte der ÖVP-Vorsitzende, der übergangsweise die Aufgaben des Kanzlers übernimmt. „Wir sind nicht an Neuwahlen per se interessiert, sondern an weiterarbeiten.“
„Das müssen keine Sollbruchstellen sein, aber man kann sie natürlich dazu machen“, analysiert der Politikberater Thomas Hofer die Forderungen von Mitterlehner. Die ÖVP deute an, dass sie nicht bereit sei, die Koalition um jeden Preis fortzuführen.
Die Sozialdemokraten in Österreich stemmen sich vehement gegen eine Neuwahl-Debatte. Der Gedanke an Neuwahlen wäre ein „schwerer Fehler“, sagte der SPÖ-Fraktionsvor- sitzende Andreas Schieder. Die Wähler wollten eine handlungsfähige Regierung. „Gerade ein personeller Neuanfang gibt auch die Chance, dass man bei Arbeitsthemen durchstartet.“Die Neubesetzung des Kanzlers und des SPÖ-Vorsitzes sei eine Frage weniger Tage. „Es muss ganz schnell gehen“, sagte Schieder.
Mit dem spektakulären Abgang von Faymann ist ein unpopulärer Regierungschef zwar von der großen Bühne verschwunden, aber die tiefgreifenden Probleme der Sozialdemokraten bleiben. „Die Schlüsselfrage ist, wie stoppe ich mit inhaltlichen Argumenten den Wählerschwund Richtung FPÖ?“, sagt der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Die rechte FPÖ ist – das zeigen die Wahlanalysen in jüngster Zeit deutlich – die neue Arbeiterpartei der Alpenrepublik. Politikberater Hofer erwartet bei der SPÖ zumindest ein Aufweichen der bisher strikten Anti-Haltung auf Bundesebene zu den Rechtspopulisten.
Dass zwei Manager – der Chef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), Christian Kern (50), und der Medienmanager Gerhard Zeiler (60) – als Top-Favoriten für den Posten als Regierungschef gehandelt werden, gilt als bezeichnend für den Zustand der SPÖ. Beide haben sich nach dem Rücktritt noch nicht selbst zu Wort gemeldet. Kern war am Montagabend lässig bei einem Konzert der britischen Rockgruppe Muse, Zeiler war zu der Zeit auf dem Flug in die USA. Als mögliche Kompromisskandidatin gilt die 60 Jahre alte ehemalige SPÖ-Europa-Staatssekretärin Brigitte Ederer.
Wie dramatisch die Abläufe hinter den Kulissen am Montag waren, zeigen Recherchen der Wiener Zeitung „Kurier“. Danach war Faymann mit seinem Rücktritt einem „Königsmord“durch die eigenen Genossen nur knapp zuvorgekommen. Fünf Landeschefs der SPÖ hatten danach in einem Wiener Hotel am Morgen beschlossen, einen außerordentlichen SPÖ-Sonderparteitag einberufen zu lassen – faktisch eine Rücktrittsforderung. Als Faymann davon erfahren habe, habe er sofort die Flucht nach vorne angetreten, schreibt die Zeitung.