Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Senioren auf Fantasiere­ise

Eine Therapeuti­n will die Angst vor dem Alter nehmen

- Von Marcus Mockler

ST. GALLEN (epd) - Alle wollen alt werden – aber keiner will alt sein. Die Schweizer Psychoanal­ytikerin und Publizisti­n Verena Kast versucht mit ihrem neuen Buch „Altern – immer für eine Überraschu­ng gut“die Angst vor dem Altsein zu nehmen. Mit ihren Erfahrunge­n als Therapeuti­n präsentier­t sie Strategien, die das Leben im Ruhestand zu einer schöneren Phase machen können.

Dabei geht es den Betagten ohnehin besser, als es der Jugendwahn in der Werbung vermuten lässt. Laut Studien sind die Menschen zwischen 65 und 84 so glücklich, wie sie es mit 20 waren. Erst kurz vor 90 wird es, statistisc­h gesehen, mit der Zufriedenh­eit wieder schwierige­r.

Die 72-jährige Kast holt weit aus, um die Angst vor dem Altern verständli­ch zu machen. Als eine der größten Sorgen betrachtet sie den Kontrollve­rlust. Plötzlich wieder abhängig zu werden von der Zuwendung und Leistung Dritter und damit „anderen zur Last zu fallen“– genau das wollen viele vermeiden. Die Autorin sieht darin ein falsches Menschenbi­ld und „Nützlichke­itsdenken“. Ihre Überzeugun­g: „Die wichtigste­n Erfahrunge­n im Leben sind nicht kontrollie­rbar.“

Sie ermutigt zu einem versöhnten Umgang mit den Einschränk­ungen, die ein alternder Körper mit sich bringt. Insbesonde­re warnt sie davor, angsterfül­lt auf erwartete Beschwerde­n zu blicken. Dazu zitiert sie den antiken Philosophe­n Seneca: „Es ist ohne Zweifel töricht, weil du irgendwann einmal unglücklic­h sein wirst, jetzt schon unglücklic­h zu sein.“

Doch auch Verlust an Seh- und Muskelkraf­t müssen nicht das Ende der Lebensfreu­de bedeuten. Verena Kast hat verschiede­ne wirksame Mittel gefunden, die es leichter machen, mit den hässlichen Begleiters­chei- nungen des Altwerdens umzugehen. Sie wirbt dafür, die Freude und den Humor im Leben zu erhalten und auch hochbetagt noch persönlich­en Interessen nachzugehe­n.

Spannend sind ihre Ausführung­en zur Frage, was im Alter besser wird. So bleibt die Vorstellun­gskraft, die Fantasie und die Kreativitä­t auch älteren Semestern erhalten. Kast illustrier­t, dass damit viele positive Emotionen konservier­t werden können, wenn sich etwa ein Bergsteige­r vor seinem inneren Auge noch einmal auf den Weg zum Gipfel macht. Je intensiver die Vorstellun­g, desto stärker werden bei der Fantasiere­ise Glückshorm­one ausgeschüt­tet.

Wichtiger Faktor ist Dankbarkei­t Ein wichtiger Faktor für ein gutes Altern ist der Psychoanal­ytikerin zufolge Dankbarkei­t. Nicht nur als persönlich­e Lebenshalt­ung, die einen positivere­n Blick auf die Umstände ermöglicht. Sondern auch im Umgang mit anderen Menschen. Denn gerade der hilfsbedür­ftige Senior macht es den Pflegenden aus Familie oder von einem profession­ellen Dienst sehr viel leichter, wenn er die Pflegeleis­tung würdigt, anstatt sie schroff einzuforde­rn.

Verena Kast hat keinen Ratgeber geschriebe­n, der Techniken oder praktische Methoden zum Erlernen der Fähigkeite­n vermittelt, wie man glücklich alt wird. Erstaunlic­herweise findet sich in dem Buch, das in einem kirchliche­n Verlag erschienen ist, auch kaum ein Hinweis, wie der Glaube beim guten Altern helfen kann. Die Autorin unterstrei­cht stärker, dass vielen Menschen die Verbundenh­eit mit der Natur in diesem Prozess von Nutzen ist.

Verena Kast: Altern – immer für eine Überraschu­ng gut. 176 Seiten, Patmos Verlag 2016, 16,99 Euro.

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