Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Senioren auf Fantasiereise
Eine Therapeutin will die Angst vor dem Alter nehmen
ST. GALLEN (epd) - Alle wollen alt werden – aber keiner will alt sein. Die Schweizer Psychoanalytikerin und Publizistin Verena Kast versucht mit ihrem neuen Buch „Altern – immer für eine Überraschung gut“die Angst vor dem Altsein zu nehmen. Mit ihren Erfahrungen als Therapeutin präsentiert sie Strategien, die das Leben im Ruhestand zu einer schöneren Phase machen können.
Dabei geht es den Betagten ohnehin besser, als es der Jugendwahn in der Werbung vermuten lässt. Laut Studien sind die Menschen zwischen 65 und 84 so glücklich, wie sie es mit 20 waren. Erst kurz vor 90 wird es, statistisch gesehen, mit der Zufriedenheit wieder schwieriger.
Die 72-jährige Kast holt weit aus, um die Angst vor dem Altern verständlich zu machen. Als eine der größten Sorgen betrachtet sie den Kontrollverlust. Plötzlich wieder abhängig zu werden von der Zuwendung und Leistung Dritter und damit „anderen zur Last zu fallen“– genau das wollen viele vermeiden. Die Autorin sieht darin ein falsches Menschenbild und „Nützlichkeitsdenken“. Ihre Überzeugung: „Die wichtigsten Erfahrungen im Leben sind nicht kontrollierbar.“
Sie ermutigt zu einem versöhnten Umgang mit den Einschränkungen, die ein alternder Körper mit sich bringt. Insbesondere warnt sie davor, angsterfüllt auf erwartete Beschwerden zu blicken. Dazu zitiert sie den antiken Philosophen Seneca: „Es ist ohne Zweifel töricht, weil du irgendwann einmal unglücklich sein wirst, jetzt schon unglücklich zu sein.“
Doch auch Verlust an Seh- und Muskelkraft müssen nicht das Ende der Lebensfreude bedeuten. Verena Kast hat verschiedene wirksame Mittel gefunden, die es leichter machen, mit den hässlichen Begleiterschei- nungen des Altwerdens umzugehen. Sie wirbt dafür, die Freude und den Humor im Leben zu erhalten und auch hochbetagt noch persönlichen Interessen nachzugehen.
Spannend sind ihre Ausführungen zur Frage, was im Alter besser wird. So bleibt die Vorstellungskraft, die Fantasie und die Kreativität auch älteren Semestern erhalten. Kast illustriert, dass damit viele positive Emotionen konserviert werden können, wenn sich etwa ein Bergsteiger vor seinem inneren Auge noch einmal auf den Weg zum Gipfel macht. Je intensiver die Vorstellung, desto stärker werden bei der Fantasiereise Glückshormone ausgeschüttet.
Wichtiger Faktor ist Dankbarkeit Ein wichtiger Faktor für ein gutes Altern ist der Psychoanalytikerin zufolge Dankbarkeit. Nicht nur als persönliche Lebenshaltung, die einen positiveren Blick auf die Umstände ermöglicht. Sondern auch im Umgang mit anderen Menschen. Denn gerade der hilfsbedürftige Senior macht es den Pflegenden aus Familie oder von einem professionellen Dienst sehr viel leichter, wenn er die Pflegeleistung würdigt, anstatt sie schroff einzufordern.
Verena Kast hat keinen Ratgeber geschrieben, der Techniken oder praktische Methoden zum Erlernen der Fähigkeiten vermittelt, wie man glücklich alt wird. Erstaunlicherweise findet sich in dem Buch, das in einem kirchlichen Verlag erschienen ist, auch kaum ein Hinweis, wie der Glaube beim guten Altern helfen kann. Die Autorin unterstreicht stärker, dass vielen Menschen die Verbundenheit mit der Natur in diesem Prozess von Nutzen ist.
Verena Kast: Altern – immer für eine Überraschung gut. 176 Seiten, Patmos Verlag 2016, 16,99 Euro.