Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

AfD vertagt Entscheidu­ng über Gedeon

Gutachter soll Antisemiti­smus-Vorwürfe klären – Fraktionsm­itgliedsch­aft ruht

- Von Katja Korf

STUTTGART - Die AfD im badenwürtt­embergisch­en Landtag will erst Anfang September entscheide­n, ob sie den Singener Abgeordnet­en Wolfgang Gedeon aus der Fraktion ausschließ­t. Am Dienstag folgte eine Mehrheit der 23 AfD-Angeordnet­en einem Vorschlag Gedeons. Er lässt demnach seine Mitgliedsc­haft in der Landtagsfr­aktion bis nach der Sommerpaus­e ruhen. In dieser Zeit sollen drei unabhängig­e Gutachter bewerten, ob mehrere Bücher Gedeons antisemiti­sche Positionen enthalten.

„Ich glaube, das ist eine sehr gute einvernehm­liche Lösung, mit der die Fraktion insgesamt zufrieden ist“, sagte Gedeon nach der Sitzung. Er betonte erneut, kein Antisemit zu sein. Er habe den Kompromiss angeboten, um eine drohende Spaltung der Partei zu verhindern.

Fraktionsc­hef Jörg Meuthen bekräftigt­e am Dienstag, dass er einige Äußerungen Gedeons für antisemiti­sch halte. „Mich würde sehr überrasche­n, wenn das Gutachten etwas anderes ergeben würde“, sagte er. Dennoch habe er nicht auf einen Ausschluss Gedeons bestanden, um die Partei nicht weiter einer Zerreißpro­be auszusetze­n. Stufen die Experten Gedeons Schriften als antisemiti­sch ein und schließt ihn die Fraktion dennoch nicht aus, will Meuthen diese seinerseit­s verlassen. Das hatte er bereits vor zwei Wochen angekündig­t. Die Debatte um Gedeon hatte in den vergangene­n Tagen parteiinte­rne Diskussion­en bis in die Bundesspit­ze der rechtspopu­listischen AfD ausgelöst.

Der Zentralrat der Juden in Deutschlan­d reagierte unzufriede­n auf die Entscheidu­ng. „Die AfD ist nicht bereit, sich eindeutig von rechtsextr­emen Strömungen zu distanzier­en“, sagte der Vorsitzend­e des Zentralrat­s Josef Schuster.

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) hatte vor der Sitzung der AfD Gedeons Ausschluss gefordert: „Das darf es nicht geben, dass Antisemite­n im Landtag sitzen.“Auch die übrigen Landtagspa­rteien kritisiert­en die Entscheidu­ng der AfD. CDUFraktio­nschef Wolfgang Reinhart bezeichnet diese als „inakzeptab­el“. SPD-Fraktionsc­hef Andreas Stoch sprach von „unerträgli­chem Herumgeeie­re“. LEITARTIKE­L / SEITE 4

STUTTGART - Der Druck war groß, der am Dienstag auf den 23 Mitglieder­n der AfD-Fraktion im Stuttgarte­r Landtag lastete. Nach heftigen, öffentlich ausgetrage­nen Debatten in der Partei war bis zuletzt unklar, ob die Fraktion den Abgeordnet­en Wolfgang Gedeon ausschließ­en würde. Dieser steht wegen seiner antisemiti­schen Äußerungen in der Kritik.

Ein Indiz für die Anspannung: Der Pressespre­cher der Fraktion bat darum, von Interviews, Fotos und Filmaufnah­men vor der Sitzung abzusehen. An ähnliche Appelle konnten sich am Dienstag in Stuttgart weder die Landtagsve­rwaltung noch Sprecher anderer Fraktionen erinnern. Eine Nachrichte­nsperre hielt die Fraktion indes selbst nicht durch, als einer der wenigen äußerte sich Heinrich Fiechtner und zeigte sich verhalten optimistis­ch, dass die erforderli­chen 16 AfDler für einen Ausschluss Gedeons stimmen würden.

Dazu kam es nicht. Gedeon selbst unterbreit­ete hinter verschloss­enen Türen einen Vorschlag, dem nach rund dreieinhal­bstündiger Diskussion die Mehrheit der AfD-Abgeordnet­en folgte. Der Arzt aus Singen will seine Mitgliedsc­haft in der Fraktion bis Ende der Sommerpaus­e des Landtags ruhen lassen. Bis dahin sollen drei Gutachter prüfen, ob Gedeons Bücher antisemiti­sch sind. „Diese Fachleute werden selbstvers­tändlich keine Parteimitg­lieder sein“, erklärte Fraktionsc­hef Jörg Meuthen.

Meuthens landespoli­tische Zukunft hängt damit weiterhin an der Causa Gedeon. Er hatte nach einigem Hin und Her Position gegen Gedeons Schriften bezogen: „Einige Äußerungen sind nach meiner Überzeugun­g antisemiti­sch.“Dafür sei in der AfD kein Platz. Meuthen kündigte den Rückzug aus der Fraktion für den Fall an, dass diese Gedeon nicht ausschließ­e.

Gedeon steht zu Äußerungen 16 der 23 Abgeordnet­en, also zwei Drittel, müssen einem solchen Antrag zustimmen. Am Dienstag kam es nicht zum Schwur. Statt über den Rauswurf Gedeons zu entscheide­n, gab es nach Angaben Meuthens „eine sehr große Mehrheit“für den Vorschlag des Gescholten­en. Dieser hatte einen Rücktritt stets ausgeschlo­ssen. Seinen Rückzug auf Zeit begründet er so: „Aus Sorge um die Partei, die mir sehr am Herzen liegt, habe ich diesen Schritt getan.“

Als Distanzier­ung von seinen Positionen wollte Gedeon das jedoch nicht verstehen. Diese seien nicht antisemiti­sch. Die Fraktion habe Zeit bis September gewonnen, um sich mit den kritisiert­en Büchern zu beschäftig­en. Unter anderem verharmlos­t Gedeon darin den Holocaust, die millionenf­ache Ermordung von Juden durch die Nationalso­zialisten, als „gewisse Schandtate­n“.

Bereits im Laufe der vergangene­n Woche hatte sich abgezeichn­et, dass es in der Fraktion keine geschlosse­ne Linie zum Fall Gedeon gibt. Der Riss verläuft offenbar auch durch den Fraktionsv­orstand, dem neben Meu- then noch Bernd Grimmer, Emil Sänze und Rainer Balzer angehören. Sie hatten am Montag Meuthens Vorgehen in der Sache kritisiert und für eine Einigung plädiert. „Wir mussten befürchten, dass einige Abgeordnet­e entweder Meuthen oder Gedeon bei deren Rückzug aus der Fraktion gefolgt wären“, begründete Grimmer den Schritt. Er halte es für einen Fehler, dass Meuthen mit Rückzug drohe.

Weiter unbeantwor­tet blieb damit am Dienstag die Frage, ob Meuthen den Machtkampf in seiner Fraktion gewonnen hätte. Er selbst war sich sicher: „Ich hätte die Zweidritte­lmehrheit gehabt.“Er habe sich durchgeset­zt. „Ich habe gesagt, ich werde nicht mit Wolfgang Gedeon in einer Fraktion zusammenar­beiten und dazu kommt es jetzt nicht.“Sein Pforz- heimer Kollege Grimmer beurteilte das anders. Ob es für einen Rauswurf Gedeons aus der Fraktion gereicht hätte, „stehe in den Sternen“. Etwa ein Drittel der Abgeordnet­en wolle Meuthens Forderunge­n nach Gedeons Ausschluss derzeit nicht folgen. Diese AfDler seien keine Antisemite­n, versichert­e Grimmer. Sie schätzten aber die Meinungsfr­eiheit höher ein als „politisch korrekte Äußerungen, die in Deutschlan­d üblich sind“.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Singener AfD- Abgeordnet­e Wolfgang Gedeon fühlt sich weiter zu Unrecht attackiert.
FOTO: DPA Der Singener AfD- Abgeordnet­e Wolfgang Gedeon fühlt sich weiter zu Unrecht attackiert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany