Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Entlarvender Winkelzug
Nein, es geht nicht um den Mann, der es mit seinem verqueren Welt- und Menschenbild in den baden-württembergischen Landtag geschafft hat. Sonderlinge, auch verkappte Antisemiten, finden sich in allen Parteien. Man täte diesem AfD-Politiker Wolfgang Gedeon deshalb zu viel der Ehre an, würde man sich ernsthaft mit seinen Thesen beschäftigen. Wer Neonazis wie den verurteilten HolocaustLeugner Ernst Zündel als „Dissidenten“bezeichnet, hat entweder eine psychiatrische Behandlung nötig – oder aber die verbrecherische Gesinnung eines Mittäters.
Es geht bei der Auseinandersetzung mit Gedeon um seine Partei AfD, ihren Vorsitzenden Jörg Meuthen, die Co-Chefin Frauke Petry und all die angeblich wertkonservativen Abgeordneten und Mitglieder, die Gedeons Antisemitismus für nicht so schlimm halten. Noch einmal: Man findet Juden- und IsraelHasser wahrscheinlich in allen Parteien. Aber in jeder demokratischen Partei wäre es eine Selbstverständlichkeit, sich von einem wie Gedeon zu trennen. Bei der AfD ist dies nicht der Fall. Der taktische Winkelzug, auf den sich die Landtagsfraktion geeinigt hat, wirft ein gleichermaßen erbärmliches wie entlarvendes Bild auf sie. Für einen Rausschmiss Gedeons aus der Fraktion fehlte offensichtlich die Mehrheit. Meuthen, der damit seine politische Zukunft verknüpft hatte, steht als Verlierer da – geriert sich aber wie ein Sieger. Als Ergebnis bleibt: Die meisten AfDAbgeordneten haben kein Problem damit, dass der Antisemit Wolfgang Gedeon nach einer Schamfrist wieder in die Fraktion zurückkehren könnte. Parteimitglied bleibt er bis auf Weiteres ebenfalls.
Ein Gutachten soll es nun richten. Das ist die nächste Zumutung. Jörg Meuthen ist von Beruf Hochschullehrer. Er müsste es eigentlich wissen: Gutachten sind dazu da, strittige Sachverhalte, Einschätzungen, Positionen zu klären. Die Gutachter im Fall Gedeon sollen dagegen klären, ob offenkundiger Antisemitismus wirklich Antisemitismus ist. Aber vielleicht ist Wolfgang Gedeon ja nur ein Dissident.