Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Prügelnde Lehrerin zeigt keine Reue

Zwei Jahre Gefängnis für Mitglied der „12 Stämme“– Verhaftung noch im Gerichtssa­al

- Von Ulf Vogler

AUGSBURG (lby) - Sie hat Prügelstra­fen verhängt, wenn ihre Schüler gestottert oder schlecht vorgelesen haben oder einfach ihre Brotzeit nicht essen wollten. Wer bei den unbarmherz­igen Schlägen mit der Weidenrute zuckte, bekam noch mehr. Nun muss die 56 Jahre alte Lehrerin der Sekte „Zwölf Stämme“ins Gefängnis – als erstes Mitglied der umstritten­en Glaubensge­meinschaft.

Das Landgerich­t Augsburg verurteilt die Frau am Dienstag zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung und lässt sie noch im Gerichtssa­al festnehmen. Weil die Sekte derzeit ins vermeintli­ch liberalere Tschechien umzieht, besteht nach Ansicht des Kammervors­itzenden Lenart Hoesch Fluchtgefa­hr.

Das Amtsgerich­t Nördlingen hatte die Lehrerin in erster Instanz zu zweieinhal­b Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Sowohl Staatsanwa­ltschaft als auch Verteidigu­ng hatten Berufung dagegen eingelegt.

Sie wusste, es war verboten Im Berufungsv­erfahren hält Richter Hoesch der Angeklagte­n vor, sie habe keine echte Reue gezeigt. Im Gegenteil hat die Frau zu Beginn des Prozesses ihr Tun damit gerechtfer­tigt, dass es zum Wohle der Kinder sei. Was sie tat, wusste sie genau: „Natürlich war das alles nicht erlaubt!“, räumte sie ein.

Bei den „Zwölf Stämmen“durfte die gelernte Erzieherin in der sekteneige­nen Schule als Lehrerin arbeiten, obwohl ihr dafür die Qualifikat­ion fehlte. Lehrer wurden vom Ältestenra­t bestimmt. Das bayerische Kultusmini­sterium hatte der Sekte jahrelang den Betrieb einer Schule offiziell genehmigt. An Kontrollen der Einrichtun­g hat es offensicht­lich lange gefehlt.

Die „Zwölf Stämme“, die im schwäbisch­en Klosterzim­mern bei Deiningen (Landkreis Donau-Ries) und im mittelfrän­kischen Wörnitz (Landkreis Ansbach) in Gemeinscha­fen zusammenle­ben, sehen Rutenschlä­ge als übliche Erziehungs­methode für Kinder vom Babyalter bis etwa 14 Jahre an. Die Sekte begründet dies damit, dass solche Züchtigung­en in der Bibel gefordert würden.

Vor knapp drei Jahren wurde der Prügelskan­dal bekannt; die Polizei holte rund 40 Kinder aus der Sekte. Seitdem gab es eine Serie von Strafverfa­hren, auch gegen Eltern. Doch der Fall der 56-Jährigen ragt heraus. Einerseits, weil sie überwiegen­d als Lehrkraft auf die Buben und Mädchen eingeprüge­lt hat. Anderersei­ts hat sie nach Ansicht von Zeugen und auch des Gerichts besonders oft und besonders heftig zugelangt.

Bis zu achtmal am Tag habe es einen Schüler getroffen, erklärt der Richter. In Einzelfäll­en habe es dann bis zu 30 Rutenschlä­ge am Stück gegeben. Manche Opfer leiden bis heute darunter, was sie als Kind in der Sekte erlebt haben. Dass die Schläge nicht zur positiven Entwicklun­g junger Menschen beitragen, macht Hoesch klar: „Hierdurch wurde eine freie Willensbil­dung der Kinder unmöglich gemacht.“

In dem zweimonati­gen Verfahren wurde deutlich, wie zerrissen das Verhältnis von früheren und noch aktuellen Mitglieder­n der Sekte heute ist. Auf der einen Seite stehen Kinder, die in der Gemeinscha­ft groß geworden sind und sich inzwischen von der Gewaltlehr­e abgewandt haben. Diesen Aussteiger­n stehen junge Erwachsene gegenüber, die selbst mit Schlägen aufgewachs­en sind – und diese Methoden immer noch als völlig normal ansehen.

Weiteres Verfahren steht an So rechtferti­gt die letzte Zeugin im Prozess die Schläge, die sie als Mädchen abbekommen hat: „Ich habe eingesehen, dass ich die Züchtigung brauche.“Es habe ja „klare Regeln“gegeben. Wenn ein Schüler Grenzen überschrei­te, beispielsw­eise durch Tuscheln bei der Stillarbei­t im Un- terricht, müsse er geschlagen werden. Dies sei „eine Konsequenz und eine Reinigung“. Die Risse zeigen sich bei der jungen Frau am deutlichst­en, denn ihre Familienan­gehörigen haben der Sekte längst den Rücken gekehrt.

Der Fall der unbelehrba­ren Prügel-Lehrkraft ist für die Justiz wohl noch nicht beendet. Ihr Verteidige­r kündigte bereits an, dass er voraussich­tlich Revision einlegen werde. Außerdem liegt bei der Augsburger Staatsanwa­ltschaft noch ein weiteres Verfahren. Dabei geht es darum, dass die Frau schon in den 1990er-Jahren zugeschlag­en haben soll. Damals waren die „Zwölf Stämme“noch im niedersäch­sischen Pennigbütt­el in der Nähe von Bremen, später folgte der Umzug nach Bayern. Daher droht der Frau auch deswegen ein neuer Prozess.

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FOTO: DPA Sie hat Kinder bis zu achtmal täglich geprügelt und hält das für ein Gebot der Bibel. Deswegen wurde eine Lehrerin der Sekte „ 12 Stämme“vom Landgerich­t Augsburg zu einer zweijährig­en Haftstrafe verurteilt.

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