Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Als die Wehrmacht in Russland einfiel
s waren die Morgenstunden des 22. Juni 1941: Adolf Hitler schickte drei Millionen Soldaten zum Angriff. Vor 75 Jahren überfiel das Deutsche Reich die Sowjetunion, deren Machthaber Josef Stalin nicht darauf gefasst war. Der zwei Jahre zuvor von Deutschland entfesselte Eroberungskrieg in Europa eskalierte erneut.
Für die Menschen in den überrannten sowjetischen Gebieten war es der nackte Terror. Sie waren der gegen jedes Gesetz verstoßenden Kriegführung Hitlers ebenso ausgeliefert wie der anfänglichen Unfähigkeit Stalins zur Gegenwehr. So viele Menschen die Sowjetunion insgesamt im Zweiten Weltkrieg verloren hat — zu keiner Zeit wurde mehr Leben zerstört als in den ersten Monaten des „Blitzkriegs“im Osten.
Dabei war die Sowjetunion seit 1939 am Krieg beteiligt als Angreifer und Nutznießer. Die Erinnerung im heutigen Russland konzentriert sich auf den Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“1941-45. Ausgeblendet wird, dass Hitler und Stalin im August 1939 einen Nichtangriffspakt geschlossen hatten. In einem Geheim- protokoll teilten sie den Osten Europas auf. So wie das Deutsche Reich im September 1939 den Westen Polens eroberte, besetzte die Sowjetunion Ostpolen und verleibte sich 1940 die baltischen Staaten ein.
Trotz des Paktes bereitete Hitler einen Krieg gegen die Sowjetunion vor. „Dieser kommende Feldzug ist mehr als nur ein Kampf der Waffen; er führt auch zur Auseinandersetzung zweier Weltanschauungen“, sagte er im März 1941. Der Nationalsozialismus sollte den Kommunismus besiegen. Hitler stimmte seine Armee darauf ein, den Feldzug noch brutaler zu führen als die Kampagnen im Westen.
Auf sowjetischer Seite hatte Stalin die Verteidigungsfähigkeit dagegen geschwächt. Die Spitze der Roten Armee war dem Terror des Diktators gegen echte und vermeintliche Feinde zum Opfer gefallen. Den drohenden deutschen Angriff wollte Stalin trotz Warnungen seiner Geheimdienste nicht wahrhaben.
Die Folgen auf dem Schlachtfeld waren verheerend. Die deutsche Wehrmacht stieß fast ungehindert vor. Die sowjetischen Truppen wur- den eingekesselt und aufgerieben, ihre Flugzeuge am Boden zerstört. Großstädte wie Kiew und Minsk fielen in die Hand der faschistischen Eroberer. In den ersten Monaten des Feldzugs wurden jeden Tag 21 000 Rotarmisten getötet, verwundet oder gefangen genommen, das haben Militärhistoriker später berechnet. Von den 11,3 Millionen getöteten sowjetischen Soldaten kam mehr als ein Viertel allein in dem halben Jahr bis Ende 1941 ums Leben.
Die Wehrmacht nahm 1941 nach eigenen Aufzeichnungen 2,56 Millionen Rotarmisten gefangen. Für viele bedeutete die Gefangenschaft den Tod. Hinter der Front ermordeten Sonderkommandos der SS die jüdische Bevölkerung. Allein in der Schlucht Babi Jar in Kiew wurden an zwei Tagen 34 000 Juden erschossen.
Bis Ende 1942 rückten Hitlers Truppen noch in der Sowjetunion vor. Doch der Feldzug trug von Anfang an den Keim des Scheiterns in sich. Auch die Wehrmacht verlor 1941 eine Million Mann als Tote oder Verwundete im Osten, von denen nur 450 000 ersetzt werden konnten. Im Winter 1942/43 brachte die Schlacht von Stalingrad die Wende. Ab dann waren die faschistischen Eroberer auf dem Rückzug. (dpa)