Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nachträgli­che Autorisier­ung

Verfassung­sgericht bescheinig­t EZB-Chef Draghi legitimes Vorgehen in der Eurokrise

- Von Hannes Koch

BERLIN - Die Euro-Rettungspo­litik der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) verstößt nicht gegen das Grundgeset­z. Dieses Urteil veröffentl­ichte das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe am Dienstag. Damit unterstütz­ten die Richter den Ansatz von EZB-Präsident Mario Draghi, grundsätzl­ich Staatsanle­ihen verschulde­ter Euro-Mitglieder zu kaufen, um Währungskr­isen einzudämme­n. Das oberste deutsche Gericht formuliert­e allerdings einige Bedingunge­n, die die EZB einhalten sollte.

„Whatever it takes“: Er werde alles tun, „was auch immer notwendig sei“, um die Währung Euro zu stabilisie­ren. So lautete Draghis mittlerwei­le berühmte Formulieru­ng vom 26. Juli 2012. Damit kündigte er an, im Notfall große Mengen Anleihen kriselnder Eurostaate­n zu kaufen. Dagegen hatten unter anderen der frühere CSU-Vize Peter Gauweiler, der Verein „Mehr Demokratie“mit Ex-Bundesjust­izminister­in Herta DäublerGme­lin (SPD) und die Linksfrakt­ion im Bundestag geklagt. Diese Klagen wies Deutschlan­ds oberstes Gericht jetzt zurück.

Draghi-Rede entschärft­e die Krise

Wie war die Lage im Sommer 2012? Die Eurostaate­n versuchten, das verschulde­te Griechenla­nd zu stabilisie­ren. Gleichzeit­ig stiegen die Zinsen, die Spanien und Italien den Finanzinve­storen für den Kauf von Staatsanle­ihen bieten mussten. Die Gefahr: Diese großen Volkswirts­chaften können sich das nicht mehr lange leisten, werden zahlungsun­fähig und müssen aus dem Euro austreten. Eine gigantisch­e Wirtschaft­skrise wäre die Folge.

In dieser Situation wirkte Draghis Ankündigun­g Wunder. Die Zinsen der Staatsanle­ihen sanken. Denn die Investoren hatten verstanden, dass die Europäisch­e Zentralban­k mehr Mittel mobilisier­en kann – und will – als die Finanzmärk­te. Das war der Wendepunkt der Eurokrise. Die Lage beruhigte sich. Und zwar ohne, dass Draghi sein Programm in die Tat umsetzen musste.

Dann aber lautete die Frage: Hat die EZB ihre in den europäisch­en Verträgen niedergele­gten Kompetenze­n überschrit­ten und damit auch unzulässig in die Rechte des Deutschen Bundestage­s eingegriff­en? Ja, darauf deute einiges hin, erklärte das Bundesverf­assungsger­icht zunächst, nachdem es sich mit den Klagen aus- einanderge­setzt hatte. In ihrem Beschluss vom 14. Januar 2014 argumentie­rten die Richter, mit dem Anleihekau­fprogramm betriebe die EZB unerlaubte Wirtschaft­spolitik. Schließlic­h trage sie dazu bei, dass verschulde­te Regierunge­n sich besser finanziere­n könnten. Das widersprec­he dem Verbot der Staatsfina­nzierung durch die Zentralban­k.

Draghi sah die Sache anders. Er bezeichnet­e das angekündig­te Programm als erlaubte Währungspo­litik. Sein Argument: Wenn die EZB nicht handele, breche die Eurozone auseinande­r. Das dürfe die Zentralban­k nicht zulassen, denn ihr Auftrag bestehe darin, die gemeinsame Wäh- rung zu schützen. Weil das deutsche Verfassung­sgericht den Konflikt nicht auf die Spitze treiben wollte, legte es seinen EZB-kritischen Beschluss dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) vor. Dieser unterstütz­te dann die EZB. Der EZB-freundlich­en Entscheidu­ng des EuGH hat sich das Bundesverf­assungsger­icht nun mit gewissen Einschränk­ungen angeschlos­sen.

Die Richter urteilten am Dienstag, die grundgeset­zlichen Rechte der Kläger würden durch das Anleihekau­fprogramm nicht beeinträch­tigt, wenn „begrenzend­e Maßgaben eingehalte­n werden“. Dazu soll unter anderem gehören, dass die Anleihekäu­fe nicht unbegrenzt erfolgen und die Kaufsumme nicht direkt an den jeweiligen Staat fließt. So will das Verfassung­sgericht sicherstel­len, dass das Verbot der Staatsfina­nzierung Gültigkeit hat.

ifo-Chef kritisiert Urteil

Clemens Fuest, Chef des ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung in München, bezeichnet­e die Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­icht als falsch. Das Anleihekau­fprogramm habe „in erster Linie das fiskalisch­e Ziel verfolgt, hoch verschulde­ten Staaten den Zugang zu Krediten zu erhalten. Die damit verbundene­n Risiken tragen die deutschen Steuerzahl­er mit, ohne dass der Bundestag zugestimmt hat.“

Ökonom Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin begrüßte das Urteil dagegen. „Das Bundesverf­assungsger­icht hat eine kluge Entscheidu­ng getroffen und einen Rückzieher von seiner ersten Entscheidu­ng vom Januar 2014 gemacht.“Es erkenne „nun die Autorität und die Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs an“.

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FOTO: DPA Der Zweite Senat beim Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe mit Peter Huber ( von links), Andreas Voßkuhle, Herbert Landau, Peter Müller und Doris König: Weitreiche­ndes Urteil, das einen Verfassung­skonflikt verhindert.

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