Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wenn die Briten gehen, wird es teuer
Preise für Tee oder Orangenmarmelade dürften steigen – Reisen wird schwieriger
BERLIN - Morgen entscheiden die Briten per Referendum, ob sie in der Europäischen Union bleiben wollen oder nicht. Börsen und Finanzmärkte reagieren mit Kursschwankungen, die Wirtschaft ist alarmiert. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen hält einen Austritt gar für eine „Katastrophe“. Auch deshalb, weil ein Brexit jeden Bürger treffen könnte. Die wichtigsten Fragen – und Antworten:
Wie wichtig ist Großbritannien für die deutsche Wirtschaft? Laut Statistischem Bundesamt führt Großbritannien jedes Jahr Waren im Wert von rund 38 Milliarden Euro allein nach Deutschland aus. Mit einem Volumen von rund 89 Milliarden Euro ist das Land drittwichtigster Exportmarkt für die Bundesrepublik. Etwa 2500 deutsche Firmen haben Niederlassungen im Vereinigten Königreich. Rund 370 000 Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Es wird vor allem mit Fahrzeugteilen gehandelt, mit chemisch-pharmazeutischen Mitteln, mit Lebensmitteln und Finanzprodukten.
Whiskey, Tee und Orangenmarmelade – werden diese Produkte teurer? Vermutlich ja. Mit dem Austritt aus der EU gilt der freie Güterverkehr nicht mehr. Das bedeutet für einen Großteil der exportierten britischen Waren werden Zölle erhoben. Diese Kosten legen Hersteller und Vertrieb vermutlich auf den Preis um. Hinzu kommt ein höherer bürokratischer Aufwand. Gleichzeitig könnten auch deutsche Produkte in Großbritannien teurer werden. Wirtschaftsinstitute gehen vor allem für die Automobilindustrie von hohen Einbußen aus. Beim Whiskey rechnen Spirituosenhändler damit, dass mit dem Preis auch der Wert steigt. Wer den edlen Tropfen nicht trinken will, sondern später weiterverkauft, kann Gewinn machen.
Müssen deutsche Mitarbeiter nach dem Brexit das Vereinigte Königreich verlassen? Wohl kaum. Aber es wird jede Menge Papierkram auf sie und ihre Arbeitgeber zukommen. „Freizügigkeit“ist ein europäisches Bürgerrecht. Jeder EU-Bürger darf in den EU-Staaten wohnen, leben, arbeiten. Es reicht eine einfache Meldung bei den zuständigen Behörden. Mit dem Brexit gilt diese Regelung nicht mehr. Wie schwer das Leben den Arbeitsmigranten im Vereinigten Königreich gemacht wird, hängt von den Verhandlungen nach dem Austritt ab. Bisher darf die Zahl der EU-Bürger nicht begrenzt werden. Mit dem Austritt könnte sich auch diese Vorgabe ändern.
Machen die Briten mit dem Brexit die Grenzen dicht? Ziemlich sicher ist, dass die Einreisebestimmungen verschärft werden. Bereits jetzt müssen Reisende an der Grenze zu Großbritannien ihren Pass vorzeigen. In anderen EU-Staaten ist das nicht nötig. Zwar gehen Vertreter von Tourismusverbänden nicht davon aus, dass ein Visum für die Reise nötig wird, aber sie rechnen mit strengeren Kontrollen. An den Preisen für Urlaubsreisen wird sich aber zunächst nichts ändern. „Die Reiseveranstalter haben ihre Kataloge für die nächste Saison fertig und die Preise sind fix“, heißt es beim Deutschen Reiseverband.
Bleiben Verbraucherschutzregeln erhalten? In der EU gelten gemeinsame Richtlinien zum Schutz der Verbraucher. Sie machen es den EU-Bürgern leicht, ihre Rechte einzufordern, wenn der Flug sich verspätet oder wenn Waren, die im EU-Ausland bestellt wurden, nicht geliefert werden. Es gibt Vorgaben für Geschäftsbeziehungen, zum Datenschutz, zu Bezahlarten, zum Widerrufsrecht – zum Schutz der Kundschaft. Diese Bestimmungen müssen mit Großbritannien neu verhandelt werden.
Ist der Brexit das Ende von Erasmus-Programm und Auslandsstudium? Laut Deutsch-Akademischem Austauschdienst (DAAD) studieren rund 13 700 deutsche Studierende an britischen Universitäten. Bereits jetzt sind die Studiengebühren sehr hoch. Doch dank EU können Studenten aus dem EU-Ausland bisher leicht an Bildungskredite kommen. In Gefahr ist auch das Erasmus-Programm. Mehr als zwei Milliarden Euro gibt die EU jedes Jahr aus, um den Studienaustausch in Europa zu fördern. Großbritannien gehört zu den beliebtesten Ländern.
Wann drohen Konsequenzen? Stimmen die Briten für den Brexit spielen vermutlich die Börsen verrückt. Nach dem ersten Schock wird wohl Rechtsunsicherheit für Wirtschaft, Verbraucher und Politik herrschen. Experten rechnen damit, dass die Trennung rund zwei Jahre dauern wird. Man wird den Briten Brücken bauen, sagt Anton Börner vom Außenhandelsverband. Wie die aussehen, hängt vom Verhandlungsgeschick beider Seiten ab.