Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Unverstandene Genossen
Genossenschaftsverband stellt sich Anfang Juli in Leutkirch vor – und wirbt in Berlin und Brüssel um Akzeptanz
LEUTKIRCH - Es ist eine Notlage gewesen, wenn auch keine existientelle. Vor mehr als zwei Jahren schrieb das Hallenbad der Gemeinde Baienfurt (Kreis Ravensburg) Verluste, die Sanierung der Becken stand an. Aber die Kommune, die gerade schwer damit kämpfte, dass der skandinavische Konzern Stora-Enso die Papierfabrik geschlossen hatte, die das Örtchen über viele Jahre geprägt hatte, verfügte nicht über das Geld für die Renovierung. Die Bürger handelten, schlossen sich zusammen, riefen eine Genossenschaft ins Leben und gründeten das erste „Genossenschaftsbad“Baden-Württembergs.
Typisch, das meint jedenfalls Roman Glaser. „Oft entstehen Genossenschaften aus einer Notsituation heraus – und meistens im Hinblick auf die Themen, die der Staat nicht regeln will oder kann“, sagt Glaser, der als Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands die Belange der 838 Genossenschaften im Südwesten vertritt. Beim Genossenschaftstag am 2. Juli in Leutkirch (Kreis Ravensburg) stellt der Verband diese so spezielle Wirtschaftsform vor – „eine Organisationsform, die seit Jahren eine Renaissance erlebt“, wie Glaser erläutert.
Baden-Württemberger haben seit 2004 rund 280 neue Genossenschaften gegründet. Zu den genossenschaftsfreundlichsten Kreisen zählen der Kreis Biberach mit 14 und der Kreis Ravensburg mit 13 Genossenschaften. Die größte Anzahl von Genossenschaften gibt es in der Landwirtschaft mit 332 Raiffeisen-Genos- senschaften, dazu kommen 300 gewerbliche Genossenschaften und 206 Volks- und Raiffeisenbanken.
Alle eint derselbe Grundgedanke: Wirtschaftsakteure bündeln ihre Kräfte, um die Vorteile einer Kooperation zu nutzen, ohne ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Die Rechtsform hat eine lange Geschichte – und entstand wie das erste „Genossenschaftsbad“Baden-Württembergs in Baienfurt aus einer Notsituation heraus. Nach Jahren der Missernten, Inflation und steigender Arbeitslosig- Eine Genossenschaft ist ein gemeinwirtschaftlich betriebenes Unternehmen, das die wirtschaftliche Tätigkeit der Genossenschaftsmitglieder unterstützt. Die Mitglieder treten gemeinsam am Markt auf, etwa um günstige Absatz- und Beschaffungskon- keit entstanden um das Jahr 1850 auf Grundlage der Ideen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Wilhelm Haas und Hermann Schulze-Delitzsch die ersten Genossenschaften. Die neue Organisationsform bot die Chance, durch gemeinsame Tätigkeit ökonomisch einflussreichere Wirtschaftseinheiten zu bilden.
„In Zukunft werden wir Genossenschaften in vielen weiteren Branchen erleben“, sagt Glaser - bei Nahwärme und Windkraft genauso wie beim Breitbandausbau und bei der ditionen zu erlangen oder betriebliche Funktionen effizienter und besser ausüben zu können. In Baden- Württemberg gibt es 838 Genossenschaften mit mehr als 3,8 Millionen Mitgliedern. Bei den Genossenschaften arbeiten rund 34 276 Menschen. ( ben) Ärzteversorgung auf dem Land. „Gerade bei Themen wie Breitband oder Arztversorgung stoßen wir an Grenzen, wenn wir das nur rein privatwirtschaftlich und renditegetrieben organisieren wollen.“Die Genossenschaft biete da Auswege, weil der Einzelne wirtschaftlich selbstständig bleibe, aber trotzdem die Vorteile der Kooperation nutzen könne.
„Demokratischste Rechtsform“So euphorisch Baden-Württembergs oberster Genossenschaftslobbyist die Vorteile der „demokratischsten“aller Rechtsformen preist, Roman Glaser weiß sehr wohl, dass das Modell in Berlin und Brüssel oft nicht im Fokus ist. So ist der Verband „sehr unglücklich“mit der Novellierung des Erneuerbare-Energie-Gesetzes. „Genossenschaften werden da klar benachteiligt“, sagt Glaser. „Die Reform argumentiert nur im Sinne der großen Energiekonzerne.“Und auch die europäische Bankenregulierung habe das Konzept der regionalen Genossenschaftsbank nie richtig gewürdigt. „Es ist eben ein Unterschied, ob ich eine globale agierende Investmentbank betrachte oder die in der Region verankerte Leutkircher Bank“, erklärt Glaser.
Über zu wenig Arbeit kann sich Roman Glaser also nicht beklagen, Vielleicht sollte er überlegen, ob er Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und die Vertreter der Europäischen Bankenregulierung Anfang Juli ebenfalls nach Leutkirch einlädt.
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