Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Deutsche wollen nicht ständig erreichbar sein
Studie: Viele sind von SMS, Mails und Anrufen genervt – In anderen Ländern ist die Akzeptanz höher
NÜRNBERG (dpa) - Immer und überall per Telefon oder Mail erreichbar zu sein, ist vielen Deutschen nicht besonders wichtig. Das geht aus einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hervor. Nur 16 Prozent der Bundesbürger finden es demnach erstrebenswert, permanent kommunizieren zu können.
Im internationalen Durchschnitt beträgt die Zustimmungsrate dagegen 42 Prozent. Im Vergleich der Altersgruppen zeigt sich, dass fast die Hälfte Menschen zwischen 30 und 39 Jahren Wert darauf legen, ständig und überall erreichbar zu sein. Knapp dahinter folgte die Gruppe der 20–bis 29-Jährigen (45 Prozent), gefolgt von den Jugendlichen (43 Prozent). Einen nennenswerten Unterschied zwischen Männern und Frauen gab es nicht.
Das Abrufen von E-Mails und SMS, sowie die Handy-Kommunikation nach Feierabend steht immer wieder in der Kritik, weil Experten einen Zusammenhang mit Stress und psychischen Erkrankungen vermuten.. „Die ständige Erreichbarkeit ist absolut ungesund, weil wir überhaupt keine Gelegenheit mehr haben, abzuschalten und uns gehen zu lassen“, sagt Gesundheitspsychologin Julia Scharnhorst.
Den Druck, ständig erreichbar zu sein und ständig sofort reagieren zu müssen, erlebt sie in ihrer täglichen Arbeit gerade bei jungen Menschen sehr stark. „Junge haben oft viel zu viele Kontakte und setzen sich dann gegenseitig unter Druck, immer schnell zu antworten“, sagt Scharnhorst. Das laufe dann unter dem Vorwurf: „Ich sehe doch, dass du online bist, warum hast du mir noch nicht geantwortet?“
Insgesamt sei die Zahl der Krankheiten wegen psychischen Störungen in den vergangenen Jahren massiv gestiegen, sagt Scharnhorst. Ständig erreichbar zu sein, spiele hier seit Jahren eine größere Rolle. Noch un- gesünder sei es, wenn der Druck für Erreichbarkeit nicht von den Freizeit-Kontakten, sondern von der Arbeit komme.
Einige Unternehmen regeln zum Gesundheitsschutz ihrer Angestellten deshalb inzwischen sogar den Einsatz von Smartphones oder Tablets in der Freizeit. Befragt wurden Viele klagen darüber, ständig erreichbar zu sein – aber das Abschalten muss zuerst im Kopf funktionieren, sagen Experten. „ Das geht nur mit kaltem Entzug, denn das ständige Schauen aufs Smartphone und die Erreichbarkeit sind wie eine Sucht“, sagt Dominik Borde, Coach und Paartherapeut in Wien. „ Es braucht Entwöhnung, man muss sich in bestimmten Situationen zwingen und es ganz bewusst weglassen.“ für die Studie 27 000 Internetnutzer ab 15 Jahren in 22 Ländern – die unterschiedlichen Ergebnisse führen Experten auf die verschiedenen Kulturen zurück.
„Es gibt Kulturen, da sind der familiäre Zusammenhalt und die Menge an Kontakten viel größer. Da kommen schon mehrere Hundert zur Beginnen kann man beispielsweise beim Treffen mit dem Partner oder einem Freund. Borde empfiehlt: Das Smartphone vor den Augen des anderen herausnehmen, ausschalten und etwa sagen: „ Entschuldige, ich schalte nur gerade mein Handy aus.“Das signalisiert dem anderen Wertschätzung und gibt beiden Seiten ein gutes Gefühl. Daraus kann man eine kleines Ritual machen – das mit jedem Mal einfacher wird. Dagegen funktioniert Hochzeit“, sagt Scharnhorst. Daraus resultierten andere Ansprüche an soziale Netze. Die Expertin rät dennoch dazu, das Handy auch mal auszumachen: „Wir brauchen einfach Zeiten, wo wir komplett abschalten können und nicht noch mit halbem Gehirn im Arbeitsmodus sind“, warnt sie. es in der Regel nicht, sich nur vorzunehmen, nicht aufs Smartphone zu schauen. Borde empfiehlt außerdem, auch mal einen Ausflug ganz ohne Handy zu machen. „Man muss nicht immer Fotos machen oder irgendwem schreiben, wo man gerade ist“, sagt der Experte. Besser ist es, sich ganz bewusst auf den Moment zu konzentrieren. Dass das den meisten nicht leichtfällt, ist klar. „ Man muss es erst wieder lernen.“( dpa)