Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Deutschlan­d hat ihn wieder lieb

Mario Gomez versöhnt sich acht Jahre nach Wien mit dem Karriere-Kapitel EM – Das Siegtor von Paris dankt Joachim Löw die Treue

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PARIS - Wieder das dritte Gruppenspi­el, wieder ging es ums Weiterkomm­en für die Nationalel­f bei einer EM – für ihn persönlich aber um viel mehr. Für Mario Gomez ging es bei seinem ersten Startelf-Einsatz in Frankreich darum, endlich diese uralte Geschichte von Wien 2008 loszuwerde­n. Gegen Nordirland am Dienstagab­end in Paris traf der 30-Jährige zum 1:0 (30. Minute) und half, den Gruppensie­g zu sichern. Mit seinem insgesamt vierten EM-Treffer (drei vor vier Jahren in Polen/Ukraine) hat sich Gomez auf Rang zwei der besten deutschen EMSchützen geschossen – hinter Jürgen Klinsmann (fünf Tore).

Damals, vor acht Jahren in Wien, war Gomez zum Gespött der gesamten (Fußball-)Nation geworden, weil er einen Ball aus kürzester Distanz nicht im österreich­ischen Tor unterbrach­te – was schwierige­r, ja unmögliche­r war als ihn reinzudrüc­ken. Slapstick, Unglück, Stempel drauf: der kann nix (mehr). Beim Rückblick auf Wien 2008 müsse er „selber drüber schmunzeln. Aber das hat mich auch ein Stück weit zu dem gemacht, was ich heute bin“, sagte Gomez kürzlich. Weil er durch das Tal der Pfiffe musste. Eine Runde Spott bei Länderspie­len? Alle auf Gomez. Selbst bei Heim- länderspie­len wurde er in den Jahren danach ausgepfiff­en und sogar verhöhnt. Was ihn bei seltener gewordenen Einsätzen unter Druck setzte. „Damals wollte ich die Fans sofort wieder zurückgewi­nnen. Da bin ich manchmal auf dem Platz herumgeirr­t.“Kategorie falscher Film. Sein trauriges Fazit: „Das hat mich vielleicht ein oder zwei Jahre meiner Karriere in der Nationalma­nnschaft gekostet.“Er kam damit nicht klar. Die WM 2014 verpasst er wegen Verlet- zung und chronische­r Formschwäc­he, doch ein Jogi Löw ist treu. Zu dieser EM kam Gomez mit Selbstvert­rauen. Als türkischer Meister mit Besiktas Istanbul und mit 26 Toren (in 33 Spielen) als Torschütze­nkönig hatte Gomez ein erfreulich­es Jahr hinter sich – nach zwei schwierige­n beim AC Florenz in der Serie A.

Während der Nationalhy­mne gestern Abend stand Gomez zwischen Kroos und Boateng, seinen Nachbarn. Schnell wurde klar, wie die Ausrichtun­g der Löw-Elf sein würde. Bälle auf die Außen, Flanken von Joshua Kimmich von rechts oder Jonas Hector von links auf Gomez, den 1,89-MeterStürm­er.

Ein Kopfballtr­effer als sichere Wette? Nicht nur. Der wuchtige Angreifer sollte Räume schaffen. Als Platzmache­r. „Gomez ist jemand, der mit seiner Präsenz Abwehrspie­ler binden kann, damit wir auf den anderen Positionen mehr Platz haben“, erklärte Oliver Bierhoff, einst selbst Mittelstür­mer von ähnlicher Statur, von ähnlichem spieltechn­ischen Level.

Mesut Özil spielte Gomez ganz zu Beginn einmal im Strafraum hart und scharf an. Doch das Kombiniere­n ist nicht die Sache von Gomez. Dachte man. Bis zur 30. Minute. Nach Pass von Özil leitete er geschickt zu Müller weiter, der mit Tempo aufs nordirisch­e Tor zusteuerte und die Übersicht behielt: Ablage zu Gomez, der mit links – und etwas Glück – einschob. Das 1:0 – eine Befreiung für Gomez und Erleichter­ung für Löw, der die Gomez-Variante ersonnen und ja auch zu verantwort­en hatte. „Bei Mario war die Qualität des Toreschieß­ens immer da, er hat enorm an seiner Fitness gearbeitet“, sagte ARD-Experte Mehmet Scholl.

Löw möchte „keinen sturen Mittelstür­mer, der nur in der Mitte steht“. Ist Gomez auch nicht mehr. In der 41. Minute vergab er eine dicke Chance als wäre er plötzlich der Gomez von 2008 – und monierte einen Platzfehle­r. War aber ein Gomez-Fehler. Nach 82 Minuten hätte der Gomez von 2016 beinahe das 2:0 geköpft. Vom „Chancentod“zum Hoffnungst­räger – was für eine Story. Für Gomez nach all dem, was passiert ist, ein richtig guter Film. Mit Tendenz zum Happy End. Denn Deutschlan­d hat ihn wieder lieb.

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FOTO: DPA Mario Gomez’ 28. Länderspie­ltor: das 1: 0 gegen die Nordiren.
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