Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schweres Erbe
Namibia und Deutschland reden über Wiedergutmachung für Völkermord an den Herero
Verhandlungen um den Völkermord an den Herero in Namibia
RAVENSBURG - Einen „Platz an der Sonne“wollte das Deutsche Kaiserreich besitzen – um jeden Preis. Dieser Traum, der in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika vor dem Ersten Weltkrieg für wenige Jahrzehnte Wirklichkeit wurde, kostete mindestens 70 000 Afrikaner das Leben. Sie gehörten den Völkern der Herero und der Nama an, die sich zwischen 1904 und 1908 gegen die deutschen Kolonialherren erhoben.
Die Historiker sind sich heute weitgehend einig: Dort fand ein Völkermord statt, ausgeführt von den Soldaten der deutschen „Schutztruppe“. Eine entsprechende Resolution des Bundestags, wie die Abgeordneten sie im Fall des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915 verabschiedet haben, lässt aber noch auf sich warten.
Zweimal ist Ruprecht Polenz in den vergangenen zwölf Monaten in Namibia gewesen. Der ehemalige CDU-Generalsekretär und Außenpolitik-Experte wurde von der Bundesregierung zum Sondergesandten ernannt. Erstens geht es bei seinen Verhandlungen um eine offizielle Anerkennung des Völkermords. Zweitens um eine förmliche Entschuldigung. Und drittens um eine Entschädigung.
Es herrscht Zeitdruck „Wir wollen eine gemeinsame Sprache finden, um die Vergangenheit zu beschreiben, und dabei wird das Wort ,Völkermord’ sicher eine Rolle spielen“, sagt Polenz im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Es gehe darum, eine Entschuldigung „so zu formulieren, dass sie von der namibischen Seite auch so verstanden wird“. Mitte Juli hat sich die Bundesregierung die Einstufung des Kolonialkriegs als Völkermord erstmals ausdrücklich zu eigen gemacht. Zuvor hatte es schon Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) als „peinlich“bezeichnet, dass der Bundestag zwar den Völkermord an den Armeniern offiziell anerkennt, aber nicht jenen an Herero und Nama. „Wir haben darauf hingewiesen, dass dieser Bundestag das Thema noch behandeln möchte, aber dessen Mandat läuft im September 2017 aus“, sagte Polenz. Das würde bedeuten, dass die Verhandlungen bis Ende 2016 abgeschlossen sein müssten. In Namibia seien diese Hinweise allerdings so interpretiert worden, dass Deutschland Zeitdruck aufbaue, bedauert Polenz.
Schließlich – und das ist der dritte Punkt – geht es auch ums Geld. Die Frage, wie es verteilt wird, reicht tief in die namibische Innenpolitik hinein. Die Regierungspartei Swapo wird dominiert von Angehörigen der größten Bevölkerungsgruppe des Landes, den Ovambo. Die Herero haben schon zahlenmäßig weniger Einfluss – was ihre Vertreter auf die Dezimierung durch die „Schutztruppe“zurückführen. Von der Regierung fühlt sich ein Teil von ihnen nicht vertreten. Polenz hat zwar Vertreter der Herero und der Nama getroffen. In den Verhandlungen sei aber allein die namibische Regierung der Ansprechpartner. Diese Haltung erzürnt Männer wie Vekuii Rukoro. Der studierte Rechtsanwalt und Paramount Chief“der Herero fordert vehement Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe an die Nachkommen der Überlebenden des Völkermords. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen“drohte er, andernfalls würden die deutschstämmigen Farmer im Land „die Zeche zahlen“. Die Nachkommen der Siedler aus Deutschland besitzen in Namibia noch immer Weideland in beträchtlichem Umfang. Den Verhandler der namibischen Regierung, Zedekia Ngavirue, akzeptiert Rukoro nicht – obwohl der selber Herero ist.
Regierung hat Befürchtungen Doch auch Rukoro ist nicht unangefochten. Die traditionellen HereroChiefs lehnen ihn ab, die Regierung sowieso. Diese will das Geld aus Deutschland im ganzen Land verteilen. Tatsächlich leben nicht in den traditionellen Herero-Gebieten die meisten Armen, sondern im bevölkerungsreichen Norden, hier herrscht der größte Entwicklungsbedarf. Die Regierung fürchtet, dass Zahlungen an die Herero andernorts Neid hervorrufen und Tribalismus, also Stammesdenken, befördern. Den Tribalismus betrachtet die Regierung als eine der größten Gefahren für die Einheit des Landes.
Schon deswegen hat die Regierung kein Problem mit dem deutschen Standpunkt, individuelle Entschädigungszahlungen nicht zuzulassen. Die deutsche Seite schlägt nach den Worten von Polenz zum einen eine deutsch-namibische Stiftung vor, die eine gemeinsame Erinnerungskultur fördert und etwa Austauschprogramme finanzieren könnte, zum anderen eine Finanzierung von Projekten beispielsweise in den Bereichen Energie, Wasser oder Infrastruktur.
Herero-Vertreter wie der in Berlin lebende Israel Kaunatjike halten dagegen alle Gespräche ohne Beteiligung der Herero für sinnlos (siehe unten stehendes Interview). Und Paramount Chief Rukoro lässt über Anwälte in London eine Klage vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof in Den Haag vorbereiten. Polenz glaubt nicht, dass eine solche Klage Erfolg hätte: „Es hat schon mehrere Versuche gegeben, Klagen einzureichen, aber kein Gericht hat sie angenommen.“