Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Retro ist ein Fluchtreflex auf zu viel Neues“
Das Smartphone wird täglich benutzt, doch Telefonnummern notieren wir in einer alten Kladde. David Fischer hat Sascha Friesike (Foto: dpa) gefragt, warum das kein Widerspruch ist. Für den Marketing-Experten der Uni Würzburg ist das vielmehr eine Auseinandersetzung mit dem Fortschritt.
Plötzlich sind alte Dinge wieder in. Steckt dahinter eine Logik? Retro ist eine Art Fluchtreflex auf zu viel Neues. Unternehmen haben einen riesigen Druck, Innovationen auf den Weg zu bringen. Und dadurch werden wir überflutet mit Produkten. Dinge, von denen es zu viele gibt, verlieren jedoch an Wert. Beispiel Musik. Für meinen Vater war die Plattensammlung ein Heiligtum. Heute kann ich für neun Euro monatlich bei Streamingdiensten so viel Musik hören wie ich möchte. Gleichzeitig erleben Platten einen neuen Trend als Produkte, zu denen wir irgendwie ein anderes Verhältnis haben.
Wir hören Vinyl und surfen auf unserem Tablet. Ist das nicht widersprüchlich? Technisierung sorgt für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Produkt aber auch damit, wie wir das Produkt eigentlich nutzen. Als die kleinen tragbaren Computer, Ende der 90er aufkamen, mit denen man Termine oder Kontakte speichern konnte, schaffte die Kladde ein Comeback. Plötzlich waren Menschen bereit, 20-mal so viel für ein Notizbuch auszugeben.
Warum nehmen wir uns mehr Zeit für Produkte von früher? Wir hetzen von einem Event zum nächsten und werden dabei von unzähligen Apps ständig unterbrochen. Retro-Produkte zwingen uns dazu, uns intensiver mit einem Produkt auseinanderzusetzen. Dahinter steckt auch irgendwo eine Trotzreaktion, nicht jedem Trend hinterherzurennen, sondern Dinge, die funktionieren, so zu lassen.