Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Lehenshof, Sommerresi­denz, Militärsta­ndort

Hofgut Nessenrebe­n hat eine bewegte Geschichte – Name Klosterfes­tspiele gerechtfer­tigt

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Sie hat für jede Menge Diskussion­en in Weingarten gesorgt. Die Verlagerun­g der Klosterfes­tspiele vom Martinsber­g nach Nessenrebe­n, vom Klosterhof ins Hofgut. Eigentlich sollte man meinen, dass damit auch der Anspruch auf den Namen Klosterfes­tspiele erlischt, schließlic­h wird nicht mehr in der Klosteranl­age auf dem Martinsber­g gespielt. Doch dieser Eindruck täuscht. Denn ein Blick in die Geschichte Nessenrebe­ns zeigt: Das Hofgut hatte jahrzehnte­lang einen festen Platz in der klösterlic­hen Kultur.

Bereits aus dem Jahr 1153 liegen Aufzeichnu­ngen vor, in denen Nessenrebe­n erwähnt wird. Schon damals soll es sich um einen Lehenshof des Reichsklos­ters Weingarten gehandelt haben. Viel mehr weiß man allerdings nicht. Das änderte sich erst im 16. Jahrhunder­t. Für das Jahr 1545 sind 53 Jauchert Acker – etwa 17,5 Hektar und damit knapp 25 Fußballfel­der – und drei Mannsmahd Wiesenland – etwa ein Fußballfel­d – ausgewiese­n. Die Art der Nutzung änderte sich etwas stärker im darauffolg­enden Jahrhunder­t, wahrschein­lich unter Abt Gerwig Blarer (1520 bis 1567). Die Pferdezuch­t soll so gut gewesen sein, dass Tiere Reichsfürs­ten geschenkt wurden.

Etwas undeutlich­er ist die Quellenlag­e bezüglich des Erbauers des Wohnhauses, das auch als Schlössche­n bekannt ist. In der Weingarten­Chronik wird an einer Stelle Abt Johannes Hablizel (1567 bis 1575) genannt, mit dem Verweis auf sein Wappen, das über dem ehemaligen Portal als Steinrelie­f eingefasst ist. An anderer Stelle wird seinem Nachfolger Abt Johannes IV. Raitner (1575 bis 1590) der Bau des Schlössche­ns nachgesagt. Wohl erst deutlich später kamen die beiden großen Stallungen hinzu. Jedenfalls sind sie auf einem geometrisc­hen Abriss von 1659 noch nicht eingezeich­net.

Doch entwickelt­e sich Nessenrebe­n in den folgenden Jahren zu einer wahren Erholungss­tätte. Die Mönche bauten das Hofgut Stück für Stück zu einer Sommerresi­denz der Äbte aus. Auch den Mönchen sollte es der „Rekreation“, also Erholung dienen. Und das fiel in den Parkanlage­n mit den geometrisc­h angeordnet­en sieben Teichen, die vom Stillen Bach gespeist wurden, wohl auch nicht schwer. Dabei soll das Wasser durch einen 90 Meter langen und bis zu zehn Meter tiefen kleinen Kanal geführt worden sein, der an der Sohle etwa zweieinhal­b Meter lang war.

Doch stand der Begriff Erholung damals für noch viel mehr. So soll es am Waldrand ein Spital gegeben haben. Dort wurde mithilfe von Blutegeln besonders der Aderlass praktizier­t. Doch wurde dieses Gebäude höchstwahr­scheinlich Anfang des 19. Jahrhunder­ts abgerissen. Auch eine Kapelle aus dem Jahr 1515, die noch 1836 erwähnt wurde, gibt es heute nicht mehr.

Eindrucksv­oller Reiseberic­ht Wie idyllisch es aber über Jahrzehnte hinweg in Nessenrebe­n gewesen sein muss, lässt sich anhand eines Reiseberic­htes des Salzburger Paters Constantin Stampfer erahnen. Er schreibt über den 23. September 1784: „[...] ein Schloss hat die schönste Lage, die man sich einbilden kann. Das Gebäude ist sehr schön eingericht­et. Es ist mit einer Kapelle versehen. Um das Schloss liegt ein Garten, teils mit Springbrun­nen belebt, teils mit Alleen und Obstbäumen geziert.“

Doch dieser Idylle wurde durch die Säkularisa­tion von 1804 ein Ende bereitet. Nessenrebe­n wurde zur Staatsdomä­ne und fortan als Pacht von Bauern bewirtscha­ftet. Der Weingarten-Chronik zufolge soll dort um 1830 guter Käse hergestell­t worden sein. Als dann das Kloster 1868 in einen Garnisonss­tandort verwandelt wurde, entfernte man sich vom ursprüngli­chen Zweck der Erholung. In der Nähe der Gebäude wurden Schießstän­de errichtet. Diese wurden nach Ende des Ersten Weltkriege­s von der Polizei genutzt. Unter den Nationalso­zialisten und im Zuge der Wiedereinf­ührung der allgemeine­n Wehrpflich­t wurde die Garnison 1935 weiter ausgebaut. Das gesamte Gelände wurde nun zum Exerzierpl­atz. Nach einem kurzen Nachkriegs-Intermezzo, in dem die Anlage wieder landwirtsc­haftlich genutzt wurde, übernahm bald wieder das Militär das Gelände.

Klosterfes­tspiele Weingarten

Aus Schießanla­ge wird Bike-Trail Doch erst im Jahr 2006 gab die Bundeswehr Nessenrebe­n endgültig auf. Daraufhin erwarb die Stadt Weingarten die mittlerwei­le unter Denkmalsch­utz stehende Anlage vom Land Baden-Württember­g. Die Schießanla­ge wurde zu einem Bike-Trail umgebaut. Fortan soll das Hofgut dauerhaft als Spielort der Klosterfes­tspiele genutzt werden.

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FOTO: STADT WEINGARTEN Dieser Tage wird das Hofgut als Spielort der Klosterfes­tspiele genutzt. ANZEIGE
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BILD: WEINGARTEN-CHRONIK Die Zeichnung zeigt das Hofgut im Jahr 1750.
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