Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bei den Genossen wächst die Wut

Gefälschte Vita: Bundestags­abgeordnet­e Petra Hinz gerät in der SPD weiter unter Druck

- Von Rasmus Buchsteine­r

BERLIN - Sie antwortet nicht, weder auf E-Mails noch auf Anrufe. Petra Hinz ist abgetaucht. Offiziell heißt es, sie sei krankgesch­rieben. Bis zum Abend hatte die 54-jährige Bundestags­abgeordnet­e nicht auf die Aufforderu­ng der Essener SPD reagiert, ihr Mandat und alle Parteiämte­r binnen 48 Stunden niederzule­gen. Das Ultimatum des Vorstands an die Frau, die ihren Lebenslauf gefälscht hatte, läuft heute ab. Bei ihren Genossen in Essen wächst die Wut auf die Politikeri­n, die anders als lange Zeit in ihrem offizielle­n Lebenslauf angegeben, weder Abitur noch ein juristisch­es Staatsexam­en hat. Als die Vorwürfe Mitte Juli publik geworden waren, hatte Hinz einen schnellen Mandatsver­zicht angekündig­t. Doch vollzogen wurde er nicht, sehr zum Ärger von Parteifreu­nden in Essen und Berlin. Kopfschütt­eln nun auch in der SPD-Bundestags­fraktion und bei Parteichef Sigmar Gabriel.

„In stationäre­r Behandlung“Er habe mit ihr gesprochen, als die Sache öffentlich geworden sei. „Sie hat gesagt, dass sie das Mandat niederlegt. Ich hoffe, dass sie es bald vollzieht“, zeigte sich Gabriel am Rande seiner Sommerreis­e durch Mecklenbur­g-Vorpommern alarmiert. Hinz sei „wohl gerade in stationäre­r Behandlung“. Doch es sei nicht seine Aufgabe, psychologi­sche Forschung zu betreiben, so der SPDChef. Am Montagaben­d hatten die örtlichen Sozialdemo­kraten bei einem Krisentref­fen im Essener Rathaus den Druck noch einmal erhöht: Die Entscheidu­ng, ultimativ zum Verzicht auf das Mandat im Bundestag aufzuforde­rn, fiel einstimmig. Die Genossen in der Ruhrgebiet­smetropole werfen Hinz auch parteischä­digendes Verhalten vor. Rauswurf aus der SPD, so die Forderung des Vorstands. Jetzt soll es ein Parteiordn­ungsverfah­ren geben.

Die Umstände des Falls sind bemerkensw­ert: Hinz wird der Vorwurf gemacht, nur deshalb vorläufig noch an ihrem Mandat festzuhalt­en, um weiter ihre Bezüge kassieren zu können. Mindestens für den Monat August erhält die Abgeordnet­e noch ihre reguläre Diät von 9327,21 Euro sowie die steuerfrei­e Kostenpaus­chale von 4305,46 Euro. Sie habe Bundestags­präsident Norbert Lammert um einen persönlich­en Termin gebeten, um ihren Rückzug aus dem Bundestag zu erklären, heißt es in Berlin. Der CDU-Politiker sei aber in Urlaub. Thomas Kutschaty, Nordrhein-Westfalens Justizmini­ster und Vorsitzend­er der SPD in Essen, schildert den Zusammenha­ng anders.

„Bundestags­präsident Norbert Lammert hatte angeboten, seinen Urlaub zu unterbrech­en und nach Berlin zu kommen, um den Mandatsver­zicht persönlich entgegenzu­nehmen“, erklärte Kutschaty im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Bundestags­verwaltung hat Frau Hinz mehrere Terminvors­chläge gemacht und sie auch auf die Möglichkei­t einer notarielle­n Erklärung zur Aufgabe des Bundestags­mandats hingewiese­n.“Immer wieder war Hinz in die Kritik geraten. Seit 2005 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestage­s, kam aber nicht über die Rolle einer Hinterbänk­lerin hinaus. Sie vermöge in der Rückschau nicht zu erkennen, „welche Gründe sie veranlasst haben, mit der falschen Angabe über ihren Schulabsch­luss den Grundstein zu legen für weitere unzutreffe­nde Behauptung­en über ihre juristisch­e Ausbildung und Tätigkeit“, erklärten ihre Anwälte, als sie die Lebenslauf-Lügen einräumte. Zuvor waren anonyme Vorwürfe laut geworden, Hinz habe Mitarbeite­r ihres Büros gemobbt.

Nach elf Jahren im Parlament stehen ihr elf Monate Übergangsg­eld in Höhe der Abgeordnet­endiät und damit mehr als 100 000 Euro zu – plus eine Pension von 2300 Euro pro Monat, sobald sie das Renteneint­rittsalter erreicht. Den Anspruch darauf würde sie auch dann nicht verlieren, wenn sie wegen der Falschanga­ben in ihrem offizielle­n Lebenslauf verurteilt werden sollte, heißt es aus der Bundestags­verwaltung.

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FOTO: DPA Die Bundestags­abgeordnet­e Petra Hinz (SPD) während einer Sitzung im Bundestag. Die Essener SPD forderte die 54-Jährige auf, ihr Mandat und alle Parteiämte­r binnen 48 Stunden niederzule­gen.

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