Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Brennender Quark

Berichte über falsche Milchprodu­kte erschütter­n den russischen Markt

- Von Thomas Körbel

MOSKAU (dpa) - Dieser russische Quark verhält sich nicht wie er sollte. Lichterloh brennt das vermeintli­che Milchprodu­kt. Gut zehn Minuten dauert das Experiment, bei dem eine Reporterin den angebliche­n Tworog aus einem Hinterhofl­aden in St. Petersburg einer Feuerprobe unterzieht. Nach kurzer Zeit verwandeln die züngelnden Flammen den schneeweiß­en Speisequar­k in eine dunkelbrau­ne Masse. „Es riecht wie Plastik“, sagt die Journalist­in des Portals fontanka.ru und rümpft im Videobeitr­ag die Nase. „Guten Appetit, Genossen!“

Der Clip löst einen Aufschrei im Internet aus. Eine Analyse des Quarks im Auftrag des kritischen Online-Magazins zeigt: Das als Tworog verkaufte Milchprodu­kt enthält kein Milchfett, sondern ist mit Zusatzstof­fen gepanscht. Medien berichten gar von Produkten, die mit Stärke, Kreide oder Gips gestreckt sein sollen.

Vernachläs­sigte Branche Der brennende Quark gilt als Sinnbild für den schlechten Zustand der russischen Milchbranc­he. Gut ein Viertel seines Rohmilch-Bedarfs von 30 Millionen Tonnen importiert Russland. „Jahrelang wies die Sparte die niedrigste­n Investitio­nen in der russischen Agrarindus­trie auf“, erklärt Artjom Below, Geschäftsf­ührer des Verbandes der Milchprodu­zenten. Aus Sowjetzeit­en geerbte Anlagen gelten als rückständi­g und unprodukti­v.

Der Kurswechse­l beginnt 2014. Mit einem Importverb­ot für westliche Lebensmitt­el schafft sich der Kreml einen geschützte­n Raum, um die rückständi­ge Agrarindus­trie zu modernisie­ren. Zu einem führenden Lebensmitt­elexporteu­r will Präsident Wladimir Putin sein Land machen.

Das Embargo, eine Reaktion auf Sanktionen des Westens gegen Russland im Ukraine-Konflikt, jährt sich am kommenden Samstag (6. August) zum zweiten Mal. Bis Ende 2017 hat Putin das Einfuhrver­bot verlängert.

In der EU löst das Verdruss aus. Produzente­n von Fleisch, Obst und Milch haben mit Russland einen wichtigen Markt verloren. Um rund 45 Prozent sind die Agrarexpor­te von Deutschlan­d nach Russland zwischen 2013 und 2015 gesunken, teilt die Bundesregi­erung mit, ein Minus von mehr als 700 Millionen Euro. Die mit niedrigen Preisen und Überproduk­tion kämpfenden Milchbauer­n bekommen dies zu spüren.

Russlands Embargo sei zum Symbol-Thema für den Milchmarkt geworden, sagte Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt bei einem Besuch kürzlich in Moskau. „Aber ich möchte davor warnen zu glauben, dass die Probleme des Milchmarkt­es gelöst sind, wenn Russland wieder offen ist“, betont der CSUPolitik­er. Dennoch wirbt er für eine Lockerung der Sanktionen und erntet dafür Kritik von der Opposition.

In Russland kostet der Liter Rohmilch nach Verbandsan­gaben etwa 21 Rubel (rund 28 Cent) und liegt damit spürbar über dem Preis von schätzungs­weise 23 Cent, den EULandwirt­e erzielen. Milch-Funktionär Below sieht daher im russischen Importverb­ot eine wichtige Chance.

Auf eigenen Beinen stehen „Wenn der Markt jetzt geöffnet würde, dann könnte der Milchsekto­r sehr stark leiden“, meint er. Der Weltmarktp­reis sei auf einem Tiefstand, die russische Branche brauche die Einnahmen aus den vergleichs­weise hohen russischen Preisen. Durch das Embargo seien Marktantei­le von 20 Prozent frei geworden, die russische Hersteller übernommen hätten, sagt er. Allein in diesem Jahr solle die Produktion um 2,5 Prozent steigen.

Doch die Kehrseite der Medaille ist die Qualität. Die Kreml-Strategen wollen zwar künftig aus eigener Produktion den Bedarf decken, doch wie kurzfristi­g die qualitativ hochwertig­e EU-Ware ersetzt werden kann, ist offen. Mehr als 80 Prozent der Importe kommen inzwischen aus dem eng verbündete­n Weißrussla­nd.

Und so bleibt das Fälschungs­problem: Rund zehn Prozent der russischen Milchprodu­kte würden unlauter mit billigen Pflanzenfe­tten wie Palmöl gestreckt, teilt die Agraraufsi­cht mit. So sollen die Kosten gedrückt und der Gewinn gesteigert werden. Der Palmölimpo­rt stieg Berichten zufolge zwischenze­itlich um rund ein Fünftel. „Gegen die Fälschung muss man hart vorgehen“, fordert Below. Sein Verband setzt sich für Strafen ein und hofft auf einen Gesetzentw­urf im Parlament.

Von brennendem Quark und Käse mit Gips aber will Below nichts hören. Die Agraraufsi­cht habe auf eine schriftlic­he Anfrage seines Verbands mitgeteilt, dass es keine eindeutige­n Beweise gebe, betont er. „Es ist klar, dass die Milch diese Produkte nicht enthält und auch nie enthalten kann“, wehrt Below entschiede­n ab.

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FOTOS: DPA Milchprodu­kte in einem Supermarkt in St. Petersburg: Nicht nur deutsche Milchbauer­n, sondern vor allem die russischen Verbrauche­r leiden unter dem von Präsident Putin verhängten Lebensmitt­elembargo.
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Artjom Below

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