Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Abschied von Bezirkskantor Paul Horn
Heute wird der Kirchenmusiker beerdigt – Von 1954 bis 1985 wirkte er an der Stadtkirche
RAVENSBURG - Auf dem Ravensburger Hauptfriedhof wird heute ein Mann beerdigt, der als Kirchenmusiker weit über Ravensburg hinaus einen vorzüglichen Ruf genoss: Kirchenmusikdirektor und Kantor i. R. Dr. Paul Horn. Im Alter von 93 Jahren war der promovierte Musikwissenschaftler und Bach-Spezialist am 28. Juli verstorben, am gleichen Tag, an dem vor 266 Jahren der Leipziger Thomaskantor das Zeitliche gesegnet hatte, um dessen Werk sich Paul Horn zeitlebens verdient gemacht hat.
Als Nachfolger von Walter Heinz Bernstein war der Verstorbene, der aus einem Dorf im Hohenloheschen stammte und an der Kirchenmusikschule Esslingen und in Tübingen studiert hatte, von 1954 bis 1985, also über 30 Jahre lang, Kantor an der evangelischen Stadtkirche und Bezirkskantor für den großen Kirchenbezirk Ravensburg, der auch Friedrichshafen und Leutkirch umfasst. Er saß nicht nur an der Orgel und leitete den traditionsreichen, seit über 150 Jahren bestehenden Kirchenchor (heute Kantorei), sondern auch den Bachchor.
Der Kirchenchor hat unter seiner Leitung regelmäßig im Gottesdienst gesungen und gab an wichtigen kirchlichen Feiertagen kleine Konzerte mit Werken von Bach, Schütz, Händel, Telemann, Franck, Scheidt, auch Mendelssohn und anderen. Darüber hinaus erarbeitete Paul Horn mit den genannten Chören in seiner ruhigen, sorgfältigen Art auch die großen Werke der Kirchenmusikliteratur, wobei ihm Werktreue stets oberstes Gebot war.
Damit aber nicht genug: Wie der große Bach, zu dessen Musik er „die größte Affinität“hatte, wie er seinem Nachfolger, Bezirkskantor Michael Bender 2006 in einem Interview in den „Württembergischen Blättern für Kirchenmusik“anvertraute, komponierte er auch selbst Kantaten, Passions- und Adventsmusiken, die jahrzehntelang die Gottesdienste in der Evangelischen Stadtkirche bereicherten. Das Collegium musicum unter der Leitung von Manfred Gerber unterstützte den Kirchenchor. Das letzte große Werk, dessen Aufführung Paul Horn leitete, war im Bach-Jahr 1985 noch einmal die Messe in h-Moll, wobei auch der Ravensburger Singkreis unter Leitung von Rudolf Wetzel mitwirkte.
Als Horn 2012 seinen 90. Geburtstag feierte, führte Nachfolger Bender mit der Kantorei ihm zu Ehren eine Komposition aus seiner Feder auf. Verdient gemacht hat sich der Verstorbene übrigens auch um die deutsch-französische Freundschaft. Mehrfach reiste der Kirchenchor in die Partnerstadt Montélimar und sang dort in der Kirche.
Mehr in der Stille vollzog sich die umfangreiche Bearbeiter-Tätigkeit des promovierten Musikwissenschaftlers. Durch seine unermüdliche Arbeit an Klavierauszügen und Generalbassstimmen trug er dazu bei, dass die alten Meister von vielen Musikern wiederentdeckt und aufgeführt werden konnten, ohne dass diese überfordert wurden. Die Klavierauszüge zählen nach dem Urteil von Fachleuten zu den am besten spielbaren auf dem Markt.
Bescheidenheit und Demut An der Orgel hat Paul Horn daneben seinen Nachfolger Bender noch bis vor wenigen Jahren regelmäßig vertreten. „Er war immer da, wenn man ihn gebraucht hat“, erinnert sich Bender, der von einer menschlich und künstlerisch sehr angenehmen Zusammenarbeit mit seinem Vorgänger berichtet. Und Willi Hartmann, der Sänger im Bachchor seit 1953 war, spricht wohl für alle Chorsängerinnen und Sänger, wenn er dankbar feststellt: „Wir erinnern uns dankbar an die Jahrzehnte mit ihm und die fruchtbare Zusammenarbeit“. Das gelte auch für die geradezu legendären Ausflüge mit dem bergbegeisterten Kantor. Alle, die ihn kannten, auch Gerlinde Suckel, die ihn im Bachchor und in der Kantorei erlebt hat, rühmen seine große Bescheidenheit, ja geradezu die Demut, mit der er den Großen der Kirchenmusik begegnete. Mehr zu sein als zu scheinen – trefflicher kann man ihn nach Einschätzung dieser Getreuen nicht würdigen.