Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Skandalfreiheit hat oberste Priorität“
DOSB-Präsident Alfons Hörmann über die deutschen Olympia-Ziele in Zeiten des Staatsdopings
RIO DE JANEIRO (dpa) - Für DOSBPräsident Alfons Hörmann hat die Fixierung aufs Medaillengewinnen bei den Olympischen Spielen in Brasilien nach dem Dopingskandal um Russland nicht die erste Priorität. Gerade in solchen Zeiten sollte „der Fokus weniger auf Metall, sondern vielleicht wieder mehr auf Charakter, Herzblut und Leidenschaft liegen“, sagte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes im Gespräch mit Andreas Schirmer und Martin Romanczyk. Hörmann ist gebürtiger Kemptener und lebt in Sulzberg im Oberallgäu; den DOSB führt der 55-Jährige seit Dezember 2013.
Brasilien erlebt eine Staatskrise, hat finanzielle und ökologische Probleme. Was erwarten Sie von den Olympischen Spielen in Rio? Vor den jeweiligen Spielen gibt es immer viele Dinge, die mehr oder weniger kritisch thematisiert werden. Das ist nichts Neues. Doch das, was aus Brasilien seit geraumer Zeit zu hören ist, ist zweifelsohne etwas anders einzuordnen. Die Rahmenbedingungen sind erkennbar schwieriger, als sie es bei anderen Spielen bisher waren. Die Vorfreude lassen sich die Athleten und auch wir in der Führung der Mannschaft jedoch trotzdem nicht nehmen. Aber wir gehen doch mit einer nochmals erhöhten Sensibilität nach Rio. Wir dürfen diese Spiele und auch andere weltweiten Wettbewerbe jedoch auch nicht immer nur durch die Brille deutscher Perfektion anschauen. Ich will aber nichts schönreden oder glorifizieren. Brasilien muss – nach seinen Zusagen vor der Vergabe – nun beweisen, dass es trotz der Krise schöne und Mut machende Spiele ausrichten kann.
Der deutsche Fahnenträger wird in diesem Jahr in neuer Form bestimmt. Nach der Vorauswahl von fünf Kandidaten wählen ihn die Bürger und das Olympia-Team. Warum dieses Verfahren? Das Ziel war, noch mehr Identifikation mit der deutschen Olympiamannschaft herzustellen sowie vorbildlich Acht Monate nach dem gescheiterten Versuch Hamburgs intensiviert die Spitze des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) die Vorbereitungen für eine mögliche neuerliche Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele. Das geht aus dem Entwurf eines Strategiepapiers hervor, das Präsident Alfons Hörmann und der Vorstandsvorsitzende Michael Vesper am 22. Juli an die Präsidenten und Generalsekrescher transparent und offen zu agieren. In der Vergangenheit ist ja vielleicht nicht zu Unrecht kritisiert worden, dass nur ein relativ kleiner Kreis von Personen diese wichtige Entscheidung getroffen hat. Wir mussten nun in einem kleinen Kreis die fünf Kandidaten auswählen. Das war schon schwer genug, sich aus einer tollen Mannschaft auf fünf Top-Kandidaten zu einigen. Vielleicht ist es deshalb ganz gut, dass uns die noch schwierigere Entscheidung auf eine Person damit abgenommen wird. täre der DOSB-Mitgliedsverbände geschickt haben. Die Zielsetzung unter Punkt E lautet „Olympische und Paralympische Spiele nach Deutschland holen“. Als „vorrangige Konzepte/Programme/Maßnahmen“wurden formuliert: „Strategie für eine künftige Bewerbung entwickeln“, „Konzept einer Stakeholder-Beteiligung entwickeln und umsetzen“, „Konzept nachhaltiger Sportgroßveranstaltungen insbesondere Olympi- 44 Medaillen möchte der DOSB aus Rio mitnehmen. Wären weniger als 40 Medaillen eine Enttäuschung und vier oder fünf Medaillen mehr als kalkuliert Grund zum Jubeln? Erst einmal: Wir werden über jede Medaille jubeln. Nach dem, was vor den Spielen in Sachen Doping aber nun alles diskutiert wurde, sollten wohl andere Werte für das Olympiateam im Vordergrund stehen als nur die absolute Zahl von Medaillen. Für mich haben damit die Verletzungsund vor allem die Skandalfreiheit Spiele weiterentwickeln“und „Deutsche Vertretung in internationalen Gremien stärken“.
Allein in den vergangenen fünf Jahren sind drei Bewerbungsversuche des DOSB gescheitert: München für die Winterspiele 2018 und 2022 sowie Hamburg für die Sommerspiele 2024. Für wann und mit welcher Stadt der DOSB erneut kandidieren möchte, steht noch nicht fest. (SID) oberste Priorität. Denn, was wir einmal mehr schmerzvoll im Weltsport erkennen müssen: Erfolg um jeden Preis kann und darf nicht das Maß aller Dinge sein.
Was dann? Gerade in solchen Zeiten, in denen wir über Manipulation, unfaire Wettbewerbe und viele weitere kritikwürdige Dinge zu diskutieren haben, sollte der Fokus weniger auf Metall, sondern vielleicht wieder mehr auf Charakter, Herzblut und Leidenschaft liegen. Wir wollen zuerst einmal vorbildliche Botschafter für unser Land sein. Ob es dann einige Medaillen mehr oder weniger werden, ist in diesem Zusammenhang als nachrangig zu sehen.
Wird es diese Zielvorgaben auch nach der geplanten Leistungssportreform noch geben? Hält man an Medaillenprognosen fest? In irgendeiner Form wird man natürlich auch künftig Potenziale ermitteln und messbar definieren müssen – das ist ein wichtiger Bestandteil des Hochleistungssports. Daran wird auch das zukünftige Leistungssportkonzept nichts ändern.
Russland hat 2012 in London 82 Medaillen gewonnen. Wird es ohne gedopte russische Athleten einfacher, Medaillen zu holen? Die Frage kann man wohl erst beantworten, wenn man weiß, wie das russische Team nun konkret aussehen wird und in welchen Sportarten mit wem die Russen vertreten sind. Erst dann kann man sachgerecht einschätzen, was das für unser Team bedeutet. Ich will nicht ausschließen, dass sich in einigen Sportarten die Chancen damit noch etwas erhöhen. Es gibt aber dazu bislang keinerlei Berechnungen oder Prognosen. Was kaum wahrgenommen wurde, ist, dass es ja auch schon andere Sperren wegen Dopings gab: Im Kanu fielen so zum Beispiel Quotenplätze aus Weißrussland und Rumänien an uns.
Die deutschen Athleten gehen dopingfrei an den Start? Davon gehe ich, wie in der Vergangenheit, aus. Bei uns wird durch die Nationale Anti-Doping-Agentur und mit großem Engagement unserer Fachverbände sowie strengen Kontrollen 365 Tage und Nächte daran gearbeitet. Und ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass es erfolgreich umgesetzt wird. „Alles geben – nichts nehmen“: Das NADA-Motto werden wir auch weiterhin aktiv umsetzen, wo immer wir Einfluss haben. Gerade deshalb erwarten wir von der WeltAnti-Doping-Agentur, dass dieser Standard nun auch endlich weltweit in der Praxis umgesetzt wird.