Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Kampf um Aleppo
Das größte Zentrum im Bürgerkriegsland Syrien ist ein Spielball der Propaganda
MOSKAU/GENF (dpa) - Wer Aleppo erobert, gewinnt womöglich den gesamten syrischen Bürgerkrieg. Das sagen Experten, die seit Jahren die Gewalt in der ehemaligen Millionenmetropole verfolgen.
Warum ist Aleppo für den syrischen Bürgerkrieg so wichtig? Aleppo in Nordsyrien ist – noch vor der Hauptstadt Damaskus – das größte Zentrum im Bürgerkriegsland. Es ist nicht nur die immense historische, kulturelle und vor dem Konflikt auch wirtschaftliche Bedeutung, die die Stadt zum Symbol für den wohl grausamsten Bürgerkrieg der Welt macht: Umkämpft wie keine andere Stadt ist Aleppo zwischen den Regimetruppen von Machthaber Baschar al-Assad und verschiedenen Rebellengruppen zerrissen wie das gesamte Land.
Warum ist die Stadt geteilt? Nachdem es in Aleppo 2011, zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges, relativ ruhig blieb, starteten Rebellen im Sommer 2012 eine Offensive, um die Regierung aus Nordsyrien zu vertreiben. Doch sie konnten die Millionenstadt nur zum Teil einnehmen. Seitdem ist Aleppo zwischen Assad-Truppen und Aufständischen geteilt. Luftangriffe erschüttern die Stadtteile in Rebellenhand. Die Milizen wiederum beschießen die Bezirke unter Regierungskontrolle.
Wer kämpft wo in Aleppo? Das syrische Regime kontrolliert mit seinen Verbündeten – zu denen unter anderem Russland gehört – den Westteil der Stadt und hält auch Gebiete außerhalb der Stadtgrenzen, so dass die Rebellen im Osten Aleppos belagert sind. Die eingeschlossenen Gruppen gehören einem weiten Spektrum zwischen extremistisch, islamistisch bis hin zu moderat an. Einige werden auch von den USA unterstützt. Genauso wie die kurdischen Kämpfer, die einige Viertel im Norden der Stadt kontrollieren. Im Westen und Südwesten herrscht das Islamisten-Bündnis Dschaisch al-Fatah, das am Sonntagabend eine Offensive gestartet hat, um den Belagerungsring um Aleppo zu brechen. Der Koalition gehören zwar auch moderate Kämpfer an, sie wird aber von mächtigen und teils extremistischen Gruppen dominiert. So handelt es sich bei Fatah al-Scham – noch vor wenigen Tagen als al-NusraFront der offizielle Ableger des Terrornetzwerkes al-Kaida in Syrien – um Dschihadisten. Die islamistische Miliz Ahrar al-Scham gibt sich dabei etwas pragmatischer und weniger radikal. Die Türkei gilt als wichtige Unterstützerin der Miliz.
Wie ist die Lage in der Stadt? Hilfsorganisationen und auch die Bundesregierung warnen vor einer humanitären Katastrophe. Durch kürzlich von der Regierung eingerichtete Fluchtkorridore sollen Zivilisten die Stadt sicher verlassen können. Die Opposition spricht von einem Propagandatrick. Mit der Einrichtung der Fluchtkorridore haben die syrische Regierung und ihr Verbündeter Russland die USA sowie die UN vor vollendete Tatsachen gestellt. Das weckt den Verdacht, dass es nicht nur um humanitäre Hilfe, sondern um militärisches Kalkül geht. So könnten möglichst viele Zivilisten aus der Kampfzone gebracht werden, um einen Sturm auf die östlichen Stadtteile zu erleichtern, sagte der russische Experte Wladimir Frolow der Zeitung „Wedomosti“. Russland hat im September militärisch in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen. Russische Luftangriffe haben vor allem das Assad-Regime stabilisiert.
Was sagen die Vereinten Nationen? Die Hilfsorganisationen und die UN haben zwar betont, dass sie alles begrüßen, was die Not der Bevölkerung lindert. Zugleich haben sie Vorbehalte geäußert. Flucht- und Hilfskorridore seien nutzlos, wenn es nicht zugleich eine Waffenruhe gebe. „Wie kann man erwarten, dass Menschen durch solche Korridore gehen, wenn ringsum geschossen, bombardiert und gekämpft wird?“, fragte der UNVermittler Staffan De Mistura.
Welche Bedeutung hat die Rebellenoffensive? Wenn die Aufständischen es schaffen, eine neue Versorgungsroute in die belagerten Gebiete freizukämpfen und diese zu halten, würde es die Position der Regierung deutlich schwächen. Eine Versorgung – für Kämpfer und Zivilisten – wäre gewährleistet und die Schlacht um Aleppo wieder offener. Auch wird der Kampf im Südwesten der Stadt Assad-Truppen binden. Das könnte zur Schwächung anderer Verbände in der Region führen.