Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Dem Rollator davonlaufen
Immer mehr Senioren in Ravensburg halten sich fit – Gesundheit und Gemeinschaft zählen gleichermaßen
RAVENSBURG - Jürgen Schulze läuft. Und läuft. Und läuft. Fünfmal pro Woche. Mittelstrecken sind sein Spezialgebiet. 800 Meter, 1500 Meter, 5000 Meter. Wenn er nicht läuft, geht er klettern, macht Tai Chi, fährt Rad oder stärkt sich beim Krafttraining. 73 Jahre ist Schulze alt. Typische Alterskrankheiten wie Gleichgewichtsstörungen oder Alzheimer kennt er nur vom Hörensagen. Damit das so bleibt, treibt Schulze regelmäßig Sport – wie viele Senioren in Ravensburg.
Das Wort „Seniorensport“mag Schulze eigentlich gar nicht. „Was ist ein Senior?“, fragt er. Im Tennis, beim Leichtathletik oder im Fußball gehöre man ab 30 Jahren schon zum alten Eisen. „Einen 30-Jährigen kann man aber wohl schlecht als Senior bezeichnen“, meint Schulze. Er schlägt deshalb vor, ältere Sportler lieber „Masters“zu nennen.
Master Schulze selbst hat mit 40 Jahren den Sport für sich entdeckt. Vor allem in der Natur und in den Bergen war er viel unterwegs. Wandern, Klettern und Höhenbergsteigen – das waren seine Leidenschaften. „Ich habe sämtliche Aktivitäten ausprobiert und alles abgegrast“, erzählt der Ravensburger lachend. Mit dem 50. Lebensjahr wechselte er zum Laufsport. Ab dato zählten für ihn Trainingspläne, Wettkämpfe und Bestzeiten. Das ist noch heute mit 73 Jahren so. „Es ist wichtig, im Rentenalter ein Hobby zu haben und etwas Vernünftiges zu tun“, so Schulze.
Allerdings ist der Sport für ihn nicht nur Freizeitvergnügen, sondern auch Gesundheitsvorsorge. „Ich trainiere, um keinen Rollator zu brauchen“, beschreibt der 73-Jährige, der nebenbei im KJC als Kursleiter arbeitet. Um fit und gesund zu bleiben, bedürfe es laut Schulze aber keines Mammutsportprogramms wie dem seinen, schon ein bisschen regelmäßige Bewegung helfe, um Alterskrankheiten vorzubeugen. „Jeder kann in seinem Bereich und nach seinen Möglichkeiten etwas machen“, ist sich der Sportler sicher.
Herausforderung für Vereine Die demografische Entwicklung zeigt schon lange: Die Altersklasse der über 65-Jährigen nimmt beständig zu. Gleichzeitig bleiben die Menschen bis ins hohe Alter fit und aktiv, auch die Lebenserwartung steigt. 70 ist sozusagen das neue 50. Für die Vereine bedeutet das, sich auf diese Entwicklung einzustellen. Der TSB Ravensburg hat dies bereits getan. Mehr als jedes zehnte TSB-Mitglied und fast jeder fünfte TSB-Übungsleiter ist über 60 Jahre alt. „Die Angebote für Senioren sind bei uns ganz vielfältig“, sagt Klara Mikolitsch, zweite Vorstandsvorsitzende beim TSB. Im Programm sind klassische Fitness- und Gymnastikkurse ebenso wie spezielle Präventionsund Bewegungsangebote.
Den Sinn von Sport im Alter erklärt Mikolitsch so: „Es geht um die Koordinierung des Bewegungsablaufs, um Gleichgewichtssinn, um Gehfähigkeit, um geistige Beweglichkeit und um Selbstbewusstsein.“Ziel sei es, als Senior so lange wie möglich selbstständig zu bleiben. „Dabei zählt nicht unbedingt, wie häufig jemand Sport macht, sondern wie regelmäßig“, so die TSB-Vorsitzende.
Neben all den gesundheitlichen Vorteilen der Sportkurse existiert laut Mikolitsch noch ein weiterer wichtiger Aspekt: die Gemeinschaft. „Gerade im Alter gibt einem das soziale Umfeld Halt und hilft gegen die Einsamkeit.“Auch für die Vereine selbst wirkt sich dieser Gemeinschaftssinn positiv aus: Kein anderes Klientel steht nämlich derart treu zum Verein wie die Altersklasse der Senioren. Gerade dann, wenn Ehrenamtliche gesucht werden, sind die Älteren die Ersten, die sich bereit erklären. „Ein Verein hat für Senioren schon eine andere Bedeutung als für Junge“, stellt Mikolitsch fest.
Ähnlich sieht das auch Roland Frommlet, Vorsitzender des Sportverbands Ravensburg. „Senioren sind die Leistungsträger im Verein, sie reißen hier einiges“, sagt er. Deshalb findet er es auch gut, wenn sich Vereine dieser Altersgruppe annehmen. „Gesundheitspolitisch gesehen, ist Seniorensport ein ganz großes Thema“, meint Frommlet. Wer früher schon Sport gemacht habe, bleibe auch im Alter dabei. „Aber man muss auch diejenigen aktivieren, die damit in der Vergangenheit nicht in Berührung kamen“, so der Sportverbandsvorsitzende.
Als Problem sieht Frommlet jedoch, dass das Angebot oft nicht die Nachfrage abdecken kann – einfach, weil die Räumlichkeiten dafür fehlen. „Die Hallenzeiten sind schon jetzt ein knappes Gut“, merkt Frommlet an. Er spricht sich daher ausdrücklich für eine dreiteilige Sporthalle in Ravensburg aus. Nur so könne der steigende Bedarf in Zukunft abgedeckt werden, meint er.
Großer Wettkampf geplant Ausdauersportler Jürgen Schulze bewegt sich indes lieber draußen als drinnen. Er hat sich vorgenommen, mit 75 Jahren einen nächsten großen Wettkampf mitzumachen. Seine Erklärung: „Alle fünf Jahre mache ich mir ein Geschenk.“Mit 60 Jahren hat er sich zum Beispiel einen Marathon geschenkt, vor zwei Jahren die Teilnahme an der Berglauf-EM der Senioren in Polen. Was nun folgen soll, weiß Schulze noch nicht. Bis es soweit ist, genießt er einfach die Vorbereitungszeit. „Als Rentner Sport zu machen, ist doch super“, meint der Mastersportler. „Es gibt keinen Stress und keinen Druck – und der Kopf ist auch nicht voll mit Dingen, die einen von der Arbeit belasten.“
Lernen Sie die Ravensburger Seniorensportgruppe sowie Sportarzt Martin Volz im Video unter schwaebische.de/seniorensportrv.