Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Dachdecker haben ein Müllproblem
Dämmplatten, die das giftige HBCD enthalten, gelten seit Oktober als gefährlicher Abfall
RAVENSBURG - Eigentlich will der Bundesrat mit einer seit ersten Oktober geltenden Verordnung die Umwelt schützen, zwingt damit aber viele Dachdecker dazu, ihre Baustellen stillzulegen. Weil Styroporplatten, die mit dem Brandschutzmittel HBCD behandelt wurden, seitdem als gefährlicher Abfall gelten, bleiben die Handwerksbetriebe auf ihrem Müll sitzen.
HBCD ist ein Brandschutzmittel, das vor allem bis zum Jahr 2015 auf Styroporplatten zum Dämmen von Fassaden gesprüht wurde, damit diese nicht so leicht brennen. Das Problem: HBCD enthält das giftige Element Brom. Wenn es in die Umwelt gelangt, kann es dort nicht abgebaut werden und lagert sich an. Um das zu verhindern, muss HBCD bei hohen Temperaturen verbrannt werden.
Ulm hat eine Sondergenehmigung Bisher konnten die HBCD-haltigen Platten zusammen mit restlichem Bauschutt in den normalen Müllverbrennungsanlagen entsorgt werden. Auch nach der neuen Verordnung ist das noch möglich, allerdings nur, wenn in einer Tonne Abfall weniger als 0,5 Kubikmeter HBCD-haltige Dämmplatten enthalten sind. Bei sogenannten Monofraktionen, also Abfall, der zum Großteil aus solchen Dämmplatten besteht, brauchen die Müllverbrennungsanlagen nun eine Sondergenehmigung. Die einzige der sechs Müllverbrennungsanlagen im Land, die sich diese geholt hat, ist die Müllverbrennungsanlage in Ulm. Da die anderen Anlagen die HBCDhaltigen Dämmplatten in großen Mengen nicht mehr annehmen, bleiben die Dachdecker nun auf ihrem Müll sitzen.
Bei der Sanierung eines Einfamilienhauses könnten laut Claudia Büttner, Pressesprecherin beim Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks, bis zu 300 Kilo HBCDhaltiges Styropor anfallen. „Diese Menge müssen die Dachdeckerbetriebe jetzt lagern. Da das aber oft nur fünf oder sechs Mann große Betriebe sind, steht dort gar nicht genug Platz zur Verfügung“, erklärt Büttner das Problem. Die Folge: Baustellen müssen stillgelegt werden, bis der Abfall entsorgt werden kann. Weil die Entsorgung für den gefährlichen Abfall nun teurer werde als zuvor und die Baustellen wegen der Baustopps länger dauerten, würden auch die Baukosten höher, so Büttner. „Viele Betriebe bleiben auf den höheren Kosten sitzen, weil sie diese nicht direkt an den Bauherrn weitergeben können“, sagt Büttner.
Der Dachdeckerverband und auch der baden-württembergische Handwerkstag würde sich nun wünschen, dass die neue Verordnung einfach wieder rückgängig gemacht würde. Und sie haben Grund zur Hoffnung. So schlugen die Umweltminister von Sachsen und dem Saarland bereits vor, die seit dem 1. Oktober bindende Vorschrift wieder zu kippen.
Für das baden-württembergische Umweltministerium ist das aber keine Lösung: „HBCD ist schädlich. Bisher haben wir weder eine Ahnung davon, wie viel dieses HBCD-haltigen Abfalls anfällt, noch wie die genaue Entsorgungskette aussieht. Mit der neuen Verordnung können wir den Weg das HBCD jetzt beobachten“, sagt Frank Lorho, Sprecher beim Landesumweltministerium.
Er sieht vor allem die Betreiber der Müllverbrennungsanlagen in der Pflicht. Sie hätten es versäumt, sich rechtzeitig eine Genehmigung zu holen. Schließlich sei die Einführung der Vorschrift schon seit März bekannt gewesen. „Wir haben bekannt gegeben, dass, sobald der Antrag auf eine Sondergenehmigung gestellt wird, das HBCD, wie früher, mit dem restlichen Bauschutt verbrannt werden darf“, sagt Lorho. Seiner Meinung nach sind einige der Betriebe aber womöglich gar nicht so erpicht auf die Genehmigung: „Dieser Styropor hat einen sehr hohen Heizwert, das heißt, er muss bei sehr hohen Temperaturen verbrannt werden. Einige Anlagenbetreiber haben womöglich Angst, das könnte ihre Anlagen schädigen. Außerdem sind die Müllverbrennungsanlagen ohnehin gut ausgelastet.“
Trotzdem wolle das Umweltministerium das Problem der Entsorgung angehen: „Früher wurde das HBCD-haltige Styropor auch oft zu Zementwerken gebracht. Dort werden hohe Temperaturen zur Herstellung von Zement benötigt, wofür die HBCD-haltigen Platten geeignet sind. Außerdem prüfen wir auch weitere Erleichterungen für die Müllentsorger, die wir zeitnah bekannt geben wollen“, sagt der Sprecher.